Von Gipfelstürmern und Rennfahrerinnen

Das Ötztal als Kulisse, die Bergwelt als Idyll beim Auftakt des Skiweltcups.
Das Ötztal als Kulisse, die Bergwelt als Idyll beim Auftakt des Skiweltcups.REUTERS
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Viktoria Rebensburg gewann den RTL-Auftakt im Skiweltcup, beste Österreicherin wurde Stephanie Brunner als Vierte. Sölden fasziniert nicht nur mit Pisten und Gletscher, der Wintersportort und seine Einwohner leben ein ganz anderes Tempo.

Sölden ist anders. Denn ehe der Skiweltcup auf dem Rettenbachferner anheben kann, wartet – traditionell – immer das Rennen vor dem Rennen. Die Ötztaler Gletscherstraße ist durchaus ein Erlebnis, doch von Anmut, Idyll und Ausblick auf diese traumhafte Bergwelt bleibt wenig übrig, wenn die Fahrer der Shuttledienste einmal Fahrt aufgenommen haben. Knapp 13 Kilometer lang ist der Weg von Sölden (1350 Meter Seehöhe) bis zum Zielraum (2800), durchschnittliche Steigung sind elf Prozent – und wer zu langsam ist, wird ausnahmslos überholt. Ob ein, zwei oder drei Autos, ein Reisebus, egal. Ortskenntnis und Praxis (20 Auf- und Abfahrten sind pro Tag gewiss) der echten „Gipfelstürmer“ drängen auf der Rückbank etwaige Bedenken getrost aus der Kurve . . .

Der 20. RTL in Sölden endete mit dem fünften Sieg einer Deutschen, am Samstag hatte Viktoria Rebensburg (15. Weltcupsieg) die beste Linie und den schnellsten Ski (1:55,20 Min.) parat. Entgegen aller Prognosen überraschten die ÖSV-Damen. Stephanie Brunner („Im zweiten Durchgang habe ich alles riskiert, wollte allen zeigen, dass ich schnell fahren kann“) schrammte als Vierte um 0,18 Sekunden nur knapp am Podest vorbei. Ricarda Haaser (11.), Bernadette Schild (12.) und Elisabeth Kappaurer (13.) zeigten, dass mit ihnen im weiteren Verlauf dieser Olympiasaison durchaus zu rechnen ist.


58,88 Sekunden mit Lindsey Vonn. Sölden ist immer eine Reise wert, das dachte sich auch Lindsey Vonn. Viele Ausfälle hatten sie angelockt, erstmals seit 2012 wieder hier zu fahren, nach 21 Monaten wieder einen RTL zu bestreiten. Das Vorhaben der 33-Jährigen entpuppte sich aber als Flop, sie verpasste die erhoffte, gute Platzierung klar als 34. Vonn schaffte es also nicht einmal in den zweiten Durchgang, in Tirol war sie für 58,88 Sekunden im Renntempo zu bewundern, sie war um 3,31 Sekunden langsamer als die zur Halbzeit führende Manuela Mölgg.

Vonn stapfte davon und schloss einen Start beim Riesenslalom in Killington kategorisch aus. „Wenn ich auf das Podest gefahren wäre, hätte ich das vielleicht gemacht. Aber so fahre ich dort definitiv nicht.“ Auch bestreitet sie keine Slalom-Bewerbe mehr, die Szene sieht sie also frühestens in Lake Louise Ende November. Vonn war mit ihrem Missmut aber nicht allein, auch Lara Gut kam bei ihrem RTL-Comeback nicht ins Ziel.


Neue Taillierung, alte Probleme. 2012 hat die FIS den Radius der RTL-Skier von 27 auf 35 Meter erhöht. Der Radius wird definiert von der Taillierung, das heißt, dass Skier vorn und hinten breiter sind, schneller den Schwung auslösen, eine engere Fahrweise ermöglichen. Nun schraubt man von 35 auf 30 Meter zurück, damit wird der Ski wieder leichter zu fahren. Die Taillierung wächst, der Grund: es gilt, Verletzungen und körperlichen Abnutzungserscheinungen vorzubeugen. Der Nebeneffekt ist jedoch von Gewicht: der Ski wird aggressiver und fast wieder auf dem Stand von 2012. Dennoch, es können mehr Fahrer gewinnen; mit dem Damoklesschwert, dass sich allerdings auch Verletzungen häufen könnten.

Dass derzeit bereits viele Stars fehlen, alarmiert die Szene. Den Regelhütern bereitet es aber kaum Kopfzerbrechen, ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel hat hingegen beschlossen, „dieser Sache auf den Grund zu gehen. Ich will es wissen“, sagte er nach der Teampräsentation im Hotel Central der „Presse am Sonntag“. „Es ist mir ein Anliegen. Es geht um die Gesundheit der Fahrer, den Wert unseres Sports.“


Hirscher fehlt und siegt trotzdem. 2016 hat der Salzburger Marcel Hirscher den Gesamtweltcup mit 497 Punkten Vorsprung auf den Norweger Henrik Kristoffersen gewonnen, 2017 mit 675 auf dessen Landsmann Kjetil Jansrud. Das wurde mitunter deshalb möglich, weil er in ausnahmslos jedem RTL auf das Podest gefahren war und im Gegensatz zu seinen Verfolgern immer gepunktet hat. Dieses Szenario ist vorbei, die Sieganwärterschaft wird größer. Denn der RTL wird wieder attraktiver, er lockt sogar Speedfahrer wie Hannes Reichelt, 37, zurück. Mit dem neuen Reglement hofft auch der Norweger Kjetil Jansrud, dass für „Speed-Boys“ statt 35. oder 25. Plätzen wieder 15. oder 10. möglich sein werden. „Wenn das passiert, wird es eng im Gesamtweltcup und spannender.“

Hirscher fehlt heute beim Auftakt-Riesentorlauf (10/13 Uhr, live ORF1) in Sölden, die Konkurrenz rechnet im Kugelkampf dennoch mit ihm. „Er kann ein, zwei Rennen verpassen, das ist für ihn kein Problem“, sagt der Franzose Alexis Pinturault. Nach einem Außenknöchelbruch Mitte August verpasst Hirscher das Heim-Rennen auf dem Rettenbachferner, mit seiner Rückkehr wird Mitte November im finnischen Levi gerechnet. Der 28-Jährige startet dann in den Olympiawinter mit zwei Zielen: die siebente große Kugel in Serie – und das erste Olympiagold.

Vielleicht ist Marcel Hirscher auch bereits schon zum Weltcupauftakt der große Gewinner, weil er gar nicht in Sölden dabei war. Meteorologen warnten die FIS am Samstag erneut vor dem nahenden Wetterumschwung, nur noch am Vormittag sollte der Wind mitspielen, dann aber Geschwindigkeiten von über 100 km/h erreichen. Damit wäre ein Rennen vollkommen unmöglich. Angesichts dieses Tempos wird vielleicht auch einer der Shuttlefahrer blass.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2017)

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