„Game over“ auf Griechisch

Viele sehen Griechenland nach wie vor als unschuldiges Opfer der Finanzkrise. Der frühere Finanzminister Giorgos Papakonstantinou schrieb nun ein Buch.
Viele sehen Griechenland nach wie vor als unschuldiges Opfer der Finanzkrise. Der frühere Finanzminister Giorgos Papakonstantinou schrieb nun ein Buch.REUTERS
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Der erste Akt des Athener Schuldendramas: Ex-Finanzminister Giorgos Papakonstantinou erzählt die Geschichte der griechischen Krise neu.

The game is over“, das Spiel ist vorbei. Das sind die Worte, die Jean-Claude Juncker, Vorsitzender der Euro-Gruppe, am 19. Oktober 2009 gebraucht hat, um seinem Zorn über die „greek statistics“, die schöpferische Buchhaltung der Griechen, Luft zu machen. Soeben hatte ihm Giorgos Papakonstantinou, der Finanzminister der neuen griechischen Regierung, bestätigt, dass das Budgetdefizit des Landes für 2009 etwa 12,5 Prozent betragen würde: neun Prozent mehr als geschätzt. Es war sozusagen der offizielle Beginn der griechischen Schuldenkrise – ob Juncker oder Papakonstantinou das damals ahnten?

Papakonstantinou ist einer der wenigen griechischen Akteure – abgesehen vom unvermeidlichen Yanis Varoufakis –, der bisher Erinnerungen an die Krisenjahre veröffentlicht hat. Dieser Tage ist die deutsche Übersetzung seines Buches auf den Markt gekommen, Titel: „Game over. Griechenland in der Krise: Der Insiderbericht“.

Ein Insider, das war er tatsächlich. In der Athener Politszene kannte man ihn seit 2003, als er für die sozialistische Regierung, die gerade den EU-Vorsitz führte, die Verhandlungen über die „Lissabon-Strategie“ koordinierte. Er war der kommende Mann. Schnell wurde er einer der engsten Vertrauten des Sozialistenchefs Giorgos Papandreou. Nach dem Wahlsieg im Oktober 2009 belohnte ihn sein Chef mit dem Posten des Finanzministers. Das blieb er bis zum Sommer 2011. In dieser Zeit musste er die Zahlungsunfähigkeit seines Landes erklären und das erste Sparmemorandum unterschreiben.

Nach dem Sturz von Papandreou diente er bis Mai 2012 in der Technokratenregierung Papadimou. Bald danach landete er vor Gericht: Als Finanzminister soll er aus einer elektronischen Liste mit potenziellen Steuersündern die Namen von drei Verwandten gelöscht haben. Er wurde der Urkundenfälschung für schuldig befunden und zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Aufstieg und Fall des Wunderknaben: Eines von vielen Schicksalen der griechischen Katastrophe.

Papakonstantinou betreibt im Buch seine persönliche Reinwaschung und verpasst Giorgos Papandreou, einen Heiligenschein. Aber das ist verständlich. Seit seinem Sturz wurden Papandreou, seine Regierung und seine Partei, von vielen Griechen zum Sündenbock für alles gemacht, was ihnen widerfuhr. Besonders Volkstribun Alexis Tsipras, Chef des radikalen Linksbündnisses Syriza, dämonisierte die Befürworter der Sparmemoranden. Nun, da auch er als Premier ein Sparmemorandum durchpeitscht, ist wohl die Zeit nahe, in der die ersten, traumatischen Jahre des Zusammenbruchs einer Neubewertung unterzogen werden. Dazu kann Papakonstantinous Buch nur beitragen, das die Geschichte der Krise gleichsam noch einmal von vorn erzählt, Schritt für Schritt.

Doch erfährt man Neues? Die Eckdaten sind bekannt, die Details der Entscheidungsfindung aber, die Grabenkämpfe innerhalb der Union, nicht. Und er zeigt, nicht immer ganz freiwillig, wie begrenzt die Perspektive der einzelnen Akteure ist. So stand Juncker anfangs auf dem Standpunkt, dass Rettungsaktionen ausgeschlossen sind: „Ihr seid allein“, sagte er Papakonstantinou. Tatsächlich wurden seither über 300Milliarden Euro nach Griechenland gepumpt. Der Finanzminister argumentierte auf seiner Betteltour durch Europa, dass die Regierung, der er diente, völlig unschuldig sei. Er schob den europäischen Partnern die Verantwortung zu, da sie es unterlassen hatten, die konservative Vorgängerregierung zur Räson zu bringen.

Überhaupt schreibt der „Europäer“ Papakonstantinou konsequent aus griechischer Perspektive. Geld für Griechenland ist für ihn gleichbedeutend mit der Rettung des Euro. Die Entwicklung des europäischen Rettungsmechanismus sei eine logische Konsequenz, entschlosseneres Handeln in diese Richtung hätte den Zahlungsausfall Griechenlands verhindern können.

Die griechische Perspektive von Papakonstantinou hat einen großen Vorteil: Sie hilft beim Verständnis der innenpolitischen Zwänge der Regierung. Die Sitzungen der Parlamentsfraktion der Pasok waren für Papandreou, besonders kurz vor seinem Sturz im November 2011, schwieriger als die Gipfeltreffen in Brüssel. Unterstützung durch die anderen Parteien gab es keine. Was Papakonstantinou allerdings ausblendet, ist die Perspektive der Straße. Die Demonstrationen, Proteste, die monatelange Besetzung des Syntagma-Platzes. Er lebt seine Krise hinter verschlossenen Türen: ein Polittheater mit wechselnden Kulissen.

Sein Fazit ist wenig erfreulich: Griechenland ist für ihn das Versuchskaninchen (und das Opfertier) für den europäischen Einigungsprozess. Und: Die Reformen in Griechenland bleiben an der Oberfläche, weil sie von außen aufgezwungen wurden.

Finanzkrise

Im Oktober 2009 gab der griechische Ministerpräsident, Giorgos Papandreou, bekannt, dass die Neuverschuldung des Landes nicht wie kolportiert 3,7 Prozent, sondern 12,7 Prozent des BIPs ausmacht.

Hilfsprogramm. Internationaler Währungsfonds, EU und EZB gewährten Griechenland seit 2010 Kredite in Höhe von 322 Milliarden Euro.

Griechenland befand sich von 2008 bis 2013 in der Rezession. Das Land hat in dieser Zeit knapp ein Viertel seiner Wirtschaftsleistung eingebüßt.

Schuldenstand. Der Schuldenstand kletterte von 107 Prozent des BIPs im Jahr 2007 auf knapp 179 Prozent im Jahr 2016. Die Arbeitslosenrate lag auf dem Höhepunkt der Krise bei 28 Prozent, mittlerweile liegt sie bei knapp über 20 Prozent.

Finanzminister

Giorgos Papakonstantinou wurde 1961 in Athen geboren und avancierte 2009 in der Regierung Giorgos Papandreou zum Finanzminister.

„Game over. Griechenland in der Krise: Der Insiderbericht.“ So lautet der Titel seines Buches, das im Oktober nun auch auf Deutsch erschienen ist (Kolchis Verlag).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2017)

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