Das konservativ-liberal-grüne Experiment

Angela Merkel und Cem Özdemir: Gelingt die Jamaika-Koalition?
Angela Merkel und Cem Özdemir: Gelingt die Jamaika-Koalition?APA/AFP/STEFANIE LOOS
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Es wird sondiert, sondiert, sondiert: Union, FDP und Grüne klären, ob Verhandlungen über eine „Jamaika“-Koalition überhaupt Sinn machen. Zuletzt krachte es bei den Themen Klima und Zuwanderung.

Das einzige – offizielle – Sondierungsgespräch vulgo Annäherungsgespräch zwischen Sebastian Kurz und Heinz-Christian Strache dauerte 55 Minuten. Es lief offenbar gut. Zehn Tage nach der Wahl starteten sodann schwarz-blaue Koalitionsverhandlungen. Die Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen dauern. Es läuft. Noch immer. 35 Tage nach der Wahl trennen Deutschland noch ein paar Wochen vom Auftakt möglicher Verhandlungen um eine „Jamaika“-Koalition. Am Donnerstag krachte es bei den Themen Klima und Zuwanderung. Man vertagte sich. Der Zeitplan droht nun durcheinanderzugeraten: Angela Merkel peilte ein Ergebnis der Sondierungen Mitte November an.

Nun hat der Vergleich seine Tücken. Erstens, weil die Grünen über den Start von Koalitionsverhandlungen einen Parteitag abstimmen lassen. In den Sondierungen müssen also schon die großen inhaltlichen Brocken aus dem Weg geräumt sein. Sonst könnte die grüne Basis streiken.

Zweitens gibt es in Österreich eine schwarz-blaue Vorlage, wie man es (nicht) machen soll. „Jamaika“ ist Neuland. Jedenfalls auf Bundesebene. Eine Koalition in den Parteifarben der Karibikinsel gibt es derzeit nur in einem Bundesland im hohen Norden, in Schleswig-Holstein. Wobei im Bund noch Bayerns CSU an Bord muss. Das macht es nicht einfacher. Und ein Vier-Parteien-Bündnis gab es in Deutschland zuletzt zu Zeiten von CDU-Übervater Konrad Adenauer.

Inhaltlich trennt etwa CSU und Grüne viel, mehr jedenfalls als FPÖ zur ÖVP. Zumal Bayerns Christdemokraten aus den historischen Verlusten bei der Bundestagswahl (minus 10,5 Prozentpunkte) den Schluss gezogen haben, das konservative Profil zu schärfen. Das Österreich-Ergebnis bestärkte die CSU (und Teile der CDU) darin. Es rächte sich jetzt, dass Kanzlerin Angela Merkel vor dem Beginn von Sondierungen die zeitgleich mit Österreich stattgefundene (und verlorene) Wahl in Niedersachsen abwarten wollte.

Der Graben zwischen CSU und den Grünen wurde noch etwas tiefer, zumal der linke Flügel der Öko-Partei ohnehin nervös ist. Man will nicht als Mehrheitsbeschaffer einer Mitte-Rechts-Regierung enden. Auch die FDP ist hörbar bemüht, sich möglichst teuer zu verkaufen wegen der Nahtoderfahrung, die sie nach dem ersten Bündnis mit Merkel erlebte. Zumindest hier tut sich eine zarte Parallele zur FPÖ auf, der ihr erstes Mal mit der ÖVP wohl auch noch in den Knochen steckt.

Klima, Euro, Flüchtlinge. Zum Start der „Jamaika“-Sondierungen gab es ein paar nette Bilder auf dem Balkon des Sondierungsorts, dem ehemaligen Reichtagspräsidentenpalais und auch ein paar nette Worte – „konstruktiv“, „gutes Gefühl“. Bei den Finanzen einigte man sich diese Woche auf ein gemeinsames Konzeptpapier, das anschließend ziemlich konträr gedeutet wurde. Weshalb sich die Grünen ums Klima, zunächst das Gesprächsklima, sorgten.

Inhaltlich hakte es dann beim Weltklima und der Flüchtlingspolitik. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sprach von einer „sehr emotionalen Debatte“ – und das war offenbar noch vorsichtig formuliert. Alte Gegensätze wurden wieder sichtbar. FDP und Grüne zanken über die Verbindlichkeit der Klimaziele, den Ausstieg aus der Braunkohle; CSU und Grüne über die Frage der Begrenzung der Zuwanderung. Auch in der Euro-Politik bewegte sich nicht viel.

Auf „50 zu 50“ schätzte FDP-Generalsekretärin Nicola Beer die Chancen für Jamaika. Das ist trotz aller Hürden wohl Tiefstapelei. Denn eine Koalitions-alternative gibt es nicht. Die SPD verweigert sich. Und der Erwartungsdruck ist groß. Eine Mehrheit der Deutschen (80 Prozent) rechnet dem ZDF-Politbarometer zufolge mit „Jamaika“ und fände das auch gut (57 Prozent). Just bei grünen Wählern ist die Zustimmung am höchsten (87 Prozent).

Über einen Koalitionsvertrag will diesmal selbst die CDU einen Parteitag abstimmen lassen – wann auch immer das sein könnte. Optimisten rechnen mit Dezember. Denn auch das längst eingesetzte Gerangel um Ministerposten dürfte bei vier Parteien noch etwas heftiger ausfallen. Gut möglich also, dass die Minister des Kabinetts Kurz I ihre Angelobung schon hinter sich haben, bevor das Kabinett Merkel IV antritt.

Jamaika-Koalition


Steckbrief


Schwarz-Gelb-Grün: Die Parteifarben von CDU, FDP und Grünen sind auf der Flagge von Jamaika zu finden.

Regierung Merkel IV
Für Angela Merkel wäre es die vierte Amtsperiode als Bundeskanzlerin. Ihre Koalitionspartner waren bisher die SPD, die FDP und nochmals die SPD.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2017)

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