Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt

Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.

Wilder Westen, diesmal im Osten

Film. Valeska Grisebachs „Western“ hat zu den Highlights in Cannes gezählt, am Freitag startet er in Österreich. Er handelt von deutschen Arbeitern im Hinterland Bulgariens.

Der Western ist nicht nur ein Genre, er ist ein Gefühl. Ein Gefühl der Freiheit, die das weite, unentdeckte Land dem einsamen Helden verspricht. Und der Hoffnung des Sonnenuntergangs, in den er nach durchlebtem Abenteuer reitet. Aber auch der Gefahr, dass sich diese Hoffnung im Rauch glühender Colts auflösen könnte. Der Spannung einer unfertigen Welt zwischen Chaos und Ordnung, Zivilisation und Anarchie. All das macht das Fantasiegefüge „Western“ aus. Und es gibt keinen Grund, warum dieses an Cowboys und Indianer, an ein bestimmtes Land oder eine bestimmte Epoche gebunden sein sollte. Warum es nicht auch im Europa der Gegenwart Platz hat. In Blagoewgrad zum Beispiel: An der griechischen Grenze, in der Glut des hügeligen Ostens, unter deutschen Bauarbeitern und bulgarischen Dorfbewohnern.

Genau das stellt der neue Film von Valeska Grisebach unter Beweis. Sein schlicht-programmatischer Titel „Western“ macht keinen Hehl daraus. Doch die Ikonografie der legendären Filmgattung ist hier nur schemenhaft vertreten. Es gibt keine „High Noon“-Referenzen und keine Ennio-Morricone-Musik, keine Lassos und keinen Federschmuck. Nur das Echo eines Mythos, der nach wie vor viele unserer Selbst- und Fremdbilder bestimmt.

Im Mittelpunkt steht ein Gruppe Gastarbeiter. Männer aus Deutschland, die im bulgarischen Hinterland einen Fluss umleiten sollen, damit dort ein Wasserkraftwerk entstehen kann. Es handelt sich um „echte“ Männer im doppelten Sinne. Zum einen, weil sie keine Profischauspieler sind, sondern Leute, die Grisebach auf dem Bau gecastet hat. Zum anderen, weil sie hart, hantig und humorvoll wirken, bauernschlau und etwas barsch, aber auch voller Widersprüche, brodelnder Gefühle hinter ihrem Hauruck-Habitus. Am härtesten von allen ist Meinhard („gespielt“ von Meinhard Neumann), groß und drahtig, der einsame Wolf des Hacklerrudels. Sein schnauzbärtiges Gesicht ist schwer zu lesen und trotzdem einprägsam: Es birgt Stolz und Vorurteil, aber auch Trauer und die Erfahrung des Alters. In einem anderen Leben hätte Meinhard vielleicht Henry Fonda werden können.


Überwindung von Fremdheit

Schon bald setzt er sich von seiner Gruppe, die auf einer Anhöhe unweit des Flusses ihr Lager aufgeschlagen und demonstrativ die Bundesflagge gehisst hat, ab. Der Ruf der Wildnis zieht ihn fort und schenkt ihm ein weißes Pferd. Auf diesem reitet er immer wieder in einen nahegelegenen Weiler, wo die Bevölkerung mit einer Mischung aus Misstrauen und Erwartung auf die Ausländer blickt: Sind sie Botschafter des Fortschritts oder doch nur Blutsauger und Wasserdiebe, vor denen man die Frauen verstecken muss? Meinhard hält sich bedeckt – und findet trotz Sprachbarriere Anschluss.

„Western“ zeichnet ein Sittenbild des gegenseitigen Auslotens, der langsamen Überwindung von Fremdheit – mit Konflikten und Versöhnungen, Annäherungen und Brüchen, aber ohne große Eskalation. Dass er dennoch bis zum letzten Bild bannt, liegt vor allem an seiner Form.

Valeska Grisebachs filmischer Zugang, der Naturalismus und Laiendarstellerimprovisation nahtlos mit Momenten zugespitzter Künstlichkeit verbindet, hat nicht nur im deutschsprachigen Raum (aber dort ganz besonders) Ausnahmecharakter. Schon ihre beiden Vorgängerfilme, „Mein Stern“ und „Sehnsucht“ – der letzte liegt bereits elf Jahre zurück –, blühten in dieser wundersamen Zwischenwelt. Grisebachs „Figuren“ reden, wie ihnen der Mund gewachsen ist – und erzählen doch von den ganz großen Dingen. Sie sind zugleich „sie selbst“ und zeitlose Archetypen.

Und an der Schnittstelle zwischen Mythos und Realität ist man der Wahrheit womöglich am nächsten. Man erkennt, wie oft das Leben die Kunst nachahmt – und wie wenig es letztlich von selbiger abhängig ist. Man versteht, dass eine Konfrontation nicht zum Duell ausarten muss, nur weil sie sich wie ein Duell anfühlt. Oder dass sich Cowboys und Indianer nicht bekriegen müssen, nur weil sie sich für solche halten. Solche Kippbilder finden sich in „Western“ zuhauf. Einmal unterläuft er die Erwartungen in die eine, einmal in die andere Richtung. Es ist ein großer kleiner Film – episch, schön und von betörender Offenheit.

Bei der Viennale ist „Western“ noch einmal am 2. November (Urania, elf Uhr) im Rahmen eines sehenswerten Grisebach-Tributs zu sehen. Ab Freitag läuft er regulär in den heimischen Kinos.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2017)