Stichwahl: Kroatiens Kampf gegen Tudjmans Erbe

(c) AP (Amel Enric)
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Krieg der 90er-Jahre hinterließ Seilschaften aus Politikern, Militärs und dubiosen Geschäftsleuten. Es werden jene Weichen gestellt werden, die für die europäische Zukunft des Landes von ausschlaggebender Bedeutung sind.

SPLIT. Kroatien steht vor einer Zeitenwende. Nicht nur, weil am Sonntag ein Nachfolger für Präsident Stipe Mesic gewählt werden wird. Sondern weil jetzt jene Weichen gestellt werden, die für die europäische Zukunft des Landes von ausschlaggebender Bedeutung sind. Das moderne Kroatien stehe gegen das alte, das aus der Tudjman-Zeit überkommene Erbe, sagen viele Kommentatoren.

So hatte die Öffentlichkeit Jadranka Kosor noch nicht gesehen: Ruhig, bestimmt und mit klarer Stimme verkündete die Premierministerin in den Hauptnachrichten den Ausschluss des langjährigen Parteichefs und Ministerpräsidenten Ivo Sanader aus der Regierungspartei HDZ. Damit zeigte die vorher Unterschätzte ihre Krallen. Es war hübsch anzusehen, wie die langgedienten Männer des Parteivorstandes – so der unter Franjo Tudjman amtierende ehemalige Justizminister Vladimir ?eks – die Regierungschefin dabei anschauten: voller Respekt und auch mit ein bisschen Zukunftsangst. Kosor ist nun unumstrittene Chefin der Partei und der Regierung.

Anlass für den Rauswurf Sanaders war dessen Ankündigung, in die Politik zurückzukehren. Damit hat er einen innerparteilichen Putsch gewagt.

Staatlicher Waffenschmuggel

Hintergrund der gesamten Auseinandersetzung ist nach Meinung vieler Oppositionspolitiker und Zeitungskommentatoren der Kampf Kosors gegen die Korruption. Seit ihrer Amtsübernahme am 1. Juli 2009 redet sie nicht nur davon, sondern handelt auch und will damit Kroatiens EU-Beitrittsverhandlungen voranbringen. Sie wies die Staatsanwaltschaft an, ohne Ansehen der Person zu ermitteln. Seither sind 27 mit der Regierungspartei verflochtene Personen verhaftet worden, unter ihnen zwei ehemalige Minister.

Ein Teil der kroatischen Presse geht davon aus, dass Sanader von jenen, die Untersuchungen fürchten müssen, aufgefordert wurde, wieder in die Politik zurückzukehren, um diese Entwicklung zu stoppen. Denn in der HDZ sind viele mit der sich seit der Ära Tudjman ausbreitenden Korruption verwoben.

Blicken wir zurück: Als Kroatien am 25. Juni 1991 die staatliche Unabhängigkeit von Jugoslawien verkündete, griffen Truppen der serbisch dominierten Jugoslawischen Volksarmee Kroatien an. Das Land musste sich wehren, das UN-Waffenembargo jedoch erlaubte es nicht, auf legale Weise an Waffen zu gelangen. Militärs, Geheimdienstleute, aber auch Schieber und Kriminelle bekamen vom damaligen Präsidenten Tudjman grünes Licht, die kroatischen Verteidigungsstreitkräfte mit illegal erworbenen Waffen auszurüsten. In der Grauzone des Waffenhandels konnten sich einige dieser Leute bereichern.

Noch wichtiger aber war, dass ein Geflecht von Kriminellen, Staatsdienern, Mitgliedern der Justiz, der Geheimdienste und Militärs entstand, das illegal operierte und gleichzeitig die Verteidigung des Landes sicherte. Mitglieder dieses Geflechts konnten zu nationalen Volkshelden werden, mit Nationalismus schützten sie ihre Interessen. Sie forderten nach dem Krieg nicht nur Straffreiheit, sondern auch politische Macht, zumindest aber die Absicherung ihrer Position vom Staatspräsidenten. Das Volkseigentum wurde im Rahmen einer fragwürdigen Privatisierung der Wirtschaft unter den Günstlingen Tudjmans verteilt. Rechtsstaatliche Verhältnisse waren ausgehebelt.

Mit dem Sieg der Sozialdemokaten bei den Wahlen um die Jahreswende 2000 und dem Sieg Mesi?s als Nachfolger Tudjmans bahnte sich eine Wende zum Besseren an. Kroatien wollte sich nun in Richtung Europa orientieren, was rechtsstaatliche Verhältnisse erforderlich machte. Der Machtverlust zwang die HDZ zur Reform. Sanader übernahm das Szepter und verdrängte die Günstlinge Tudjmans aus der Parteiführung, machte aus der „Bewegung“ eine konservative Partei und propagierte ebenfalls den europäischen Weg. Mit seinem Wahlsieg Ende 2003 war die reformierte HDZ wieder an der Macht. Doch Sanader war nicht in der Lage, das alte Geflecht zu zerschlagen. „Um den nationalistisch-kriminellen Flügel der Partei von der Macht zu verdrängen, schloss er mit ihm einen Kompromiss. Er unternahm gegen diese Struktur und die Korruption nur wenig“, meint der renommierte Menschenrechtler und Intellektuelle Zarko Puhovski.

Hilfe des neuen Präsidenten?

Mit Jadranka Kosor ist dies nun anders geworden. Nun gerät Sanader selbst ins Visier der Fahnder. Ungeklärt ist seine Rolle bei der Privatisierung des Erdölkonzerns INA und im Skandal um die Hypo-Alpe-Adria-Bank.

Regierungschefin Kosor hat mit einigen Kräften der Opposition mehr gemein als mit so manchem alten Parteifreund aus der HDZ. Denn der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat Ivo Josipovi? würde die Premierministerin in ihrem Kampf unterstützen, während Milan Bandi? in den Augen der Reformer in Bezug auf die Korruptionsbekämpfung als unsicherer Kandidat gilt. Viele HDZ-Wähler tendieren jedoch zu Bandi?, der nun die konservativen und rechten Stimmen an sich ziehen will.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2010)

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