Die Kollektivvertragsverhandlungen sind neuerlich gescheitert: Weil es den Sozialpartnern weniger um die Sache als um politische Macht geht.
Das war dann doch eine Überraschung. Montagabend trennten sich die Verhandler im Streit. Kein neuer Kollektivvertrag für die Metaller. Vielmehr deutet alles auf einen gewaltigen Konflikt hin. Die Gewerkschaft hält dieser Tage Betriebsversammlungen ab, schon bald könnte es Streiks geben. Was ist da los?
Schwarz-Blau ist los, ganz einfach. Und die Sozialpartner zeigen diesmal fast schon unverhohlen, worum es ihnen letztendlich geht. Um politischen Einfluss, um politische Macht. Das hat diese österreichische Spezialität, diese Verhaberung der politischen Streitkultur, jahrzehntelang so stark gemacht. Die Gewissheit, dass „ohne uns“ nichts geht. Die Sozialpartner – namentlich Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer, ÖGB und Landwirtschaftskammer – sitzen nicht nur im Nationalrat und in den Landtagen. Ohne ihren Sanktus wird kein Gesetz erlassen. Sie herrschen in den Sozialversicherungen, sitzen in Kommissionen, Beiräten und Ausschüssen – und nicht zuletzt in Aufsichtsräten staatsnaher Unternehmen. Die Sozialpartner haben ein De-facto-Monopol auf Erwachsenenbildung. Wifi und BFI teilen sich den Markt auf – etwa bei den Arbeitslosenschulungen für das AMS.
Die Sozialpartnerschaft ist eine Schattenregierung, die keine politische Verantwortung übernehmen muss. Weil sie ja „über den Parteien“ steht – und das im wahrsten Sinn des Wortes. Ja, sie steht bekanntlich teilweise im Verfassungsrang. Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer kassieren – kraft der Verfassung – jedes Jahr mehr als eine Milliarde Euro an Beiträgen. Nur leider können die Mitglieder nicht selbst entscheiden, ob sie auch wirklich gern Mitglieder sein möchten.
Aber betrachten wir doch das jüngste Schauspiel. Dass es am Montag, am vierten Verhandlungstag, zu keiner Einigung über einen Metaller-KV gekommen ist, erstaunt durchaus. Denn eigentlich haben die meisten Beobachter erwartet, dass dieser Tag zu einem Schaulauf der Sozialpartnerschaft werden wird: Schaut her, das alte Ehepaar hält noch immer zusammen! Vergessen all die Schmähungen, auch der jüngste Seitensprung der Gewerkschaft in Sachen Angleichung von Arbeitern und Angestellten. Vergessen der schmutzige Wahlkampf. Auf das alte Gespann ist noch immer Verlass! Schreibt euch das hinter die Ohren, ihr Koalitionsverhandler!
Aber mitnichten.
Jetzt ist schon klar, dass die Sozialpartnerschaft nie eine Liebesheirat war. Die verklärten Anekdoten von Rudolf Sallinger und Anton Benya täuschen darüber hinweg, dass die Weltanschauungen zwischen Wirtschaftskämmerern und Spitzengewerkschaftern einst noch viel weiter auseinanderklafften als heutzutage. Die Macht der Sozialpartnerschaft korrelierte immer mit der parteipolitischen Macht ihrer Protagonisten. Und die ist zweifelsohne noch immer vorhanden, aber bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in den „guten“ alten Zeiten.
Eines ist klar: Die alten Zeiten waren nicht so gut, wie viele rückblickend meinen. Es geht uns in Österreich besser als je zuvor. Nur leider geht es den Nachbarn um ein kleines Alzerl besser als uns. Deshalb sind wir unzufrieden. Deshalb ist es höchste Zeit für Reflexion.
Ja, die Welt hat sich verändert, nur unsere Systeme, unsere Institutionen offenbar nicht. 1945 wurde die österreichische Sozialpartnerschaft gegründet. Drei Jahre später verfasste der amerikanische Ökonom und spätere Wirtschaftsnobelpreisträger Paul A. Samuelson sein Werk „Economics“. Es gilt bis heute als Standardwerk der Makro- und Mikroökonomie. Nicht, weil es unumstößlich ist oder gar in der Verfassung verankert. Samuelson hat sein fundamentales Werk Zeit seines Lebens sage und schreibe 19 Mal überarbeitet. 2009, kurz vor seinem Tod, hat er noch einige Kapitel gestrichen, die ihm im 21. Jahrhundert volkswirtschaftlich nicht mehr so bedeutend erschienen. Darunter befanden sich die Kapitel Landwirtschaft und die Geschichte der Gewerkschaften.
Die Sozialpartnerschaft wurde nie überarbeitet. Sie repräsentiert im Jahr 2017 noch immer größtenteils einen Arbeiter- und Bauernstaat. Diesen Staat gibt es schon lang nicht mehr.
E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.11.2017)