Spaniens Justiz sucht den abgesetzten katalanischen Regierungschef per europäischem Haftbefehl. Separatisten in Barcelona planen den Widerstand.
Madrid. In den nächsten Tagen könnte sich das politische Schicksal des Carles Puigdemonts entscheiden: Dann wird man auch sehen, ob die Strategie des katalanischen Separatistenchefs aufgeht, durch Flucht nach Belgien der spanischen Justiz zu entkommen. Denn am Freitag wollte die spanische Untersuchungsrichterin Carmen Lamela internationale Haftbefehle gegen Puigdemont und vier seiner früheren Minister ausstellen. Dadurch wollte sie eine Festnahme in Belgien und die Auslieferung an Spanien erreichen.
Puigdemont gilt als einer der Initiatoren jenes „perfekten Plans“, wie es die Untersuchungsrichterin nannte, mit dem der verfassungsfeindliche Unabhängigkeitsprozess Kataloniens durchgesetzt werden sollte. Teil dieses Plans seien das illegale Abspaltungsvotum am 1. Oktober und die nicht weniger ungesetzliche Unabhängigkeitserklärung am 27. Oktober gewesen, heißt es. Zur Durchsetzung des Sezessionsplanes sei „die Bevölkerung instrumentalisiert worden“. Die Puigdemont-Regierung habe die Menschen zum Widerstand gegen Gerichtsverbote und gegen die spanische Polizei aufgestachelt.
Videobotschaft Puigdemonts
Mit den Haftbefehlen reagiert die spanische Justiz auf die Weigerung von Puigdemont und Co., vor dem Nationalen Gerichtshof zu erscheinen, der gegen die frühere Separatistenregierung Kataloniens wegen fortgesetzter Rechtsbrüche im Zuge des Unabhängigkeitskurses ermittelt. Am Donnerstag hatte vor dem Gerichtshof die Anhörung der Mitglieder der abgesetzten Rebellenregierung begonnen. Nach der ersten Vernehmung schickte Lamela neun katalanische Ex-Minister, darunter den Ex-Vize-Premier Oriol Junqueras, in Untersuchungshaft. Dies begründete sie mit der Gefahr, dass die Beschuldigten wie schon Puigdemont flüchten könnten. Zudem seien die Rebellenpolitiker, die sich weiterhin als rechtmäßige katalanische Regierung ansehen, offenbar entschlossen, weiterhin das Gesetz zu brechen.
Am Freitagmittag kam einer der neun am Donnerstag Festgenommenen wieder frei: Der ehemalige katalanische Minister für Wissenschaft und Wirtschaftsförderung, Santi Vila, konnte das Untersuchungsgefängnis gegen Zahlung von 50.000 Euro Kaution verlassen. Er war der einzige der neun festgesetzten Rebellen, der sich vom Unabhängigkeitsprozess distanziert hatte. Puigdemont war zuletzt am Donnerstag in Brüssel gesichtet worden. Von dort hatte er sich am Abend per Videobotschaft gemeldet und über die „Repression Spaniens“ beklagt.
Die Untersuchungshaft für seine Ex-Minister nannte Puigdemont ein „Attentat auf die Demokratie“. Er forderte deren Freilassung und „das Ende der politischen Unterdrückung“. Inzwischen droht die katalanische Unabhängigkeitsbewegung wegen der Festnahme der Puigdemont-Minister mit einer Mobilisation ihrer Anhänger. Gestern blockierten Demonstranten in Barcelona mehrere Straßen. Donnerstagabend gingen Tausende Menschen auf die Straße und riefen: „Das ist ein Staatsstreich.“ Kommende Woche ist ein Generalstreik geplant.
Spaniens konservative Regierung und die oppositionellen Sozialisten kommentierten die Entscheidungen des Nationalen Gerichtshofs nicht. „Wir respektieren die Beschlüsse der Justiz“, hieß es. Vergangene Woche hatte Premier Mariano Rajoy die Regionalregierung wegen ihres verfassungsfeindlichen Unabhängigkeitskurses abgesetzt. Zudem setzte Rajoy für den 21. Dezember Neuwahlen in Katalonien an. Die Katalanen sind in der Unabhängigkeitsfrage gespalten. Die Separatisten haben neusten Umfragen zufolge etwas weniger als die Hälfte hinter sich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2017)