Klimawandel: ein Fall für die Gerichte

Auch Wetterkapriolen sind eine Folge des Klimawandels. Aber wen kann man dafür haftbar machen?
Auch Wetterkapriolen sind eine Folge des Klimawandels. Aber wen kann man dafür haftbar machen?(c) APA/Markus Tischler
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Der Klimawandel beschäftigt nicht mehr nur Naturwissenschaftler und Weltpolitiker, er ist auch eine juristische Kategorie geworden. Aber wie erfolgreich sind Schadenersatzklagen?

Wien. Der Klimawandel beschäftigt verstärkt die Gerichte. Heimische Beobachter wird dies nicht überraschen, verfügt Österreich doch mit der Dritten Piste des Wiener Flughafens über einen international beachteten Präzedenzfall. Und ein Blick über die Landesgrenzen bestätigt, dass Staaten weltweit Adressaten klimabezogener Schutz- und Handlungspflichten werden.

Ein Meilenstein war die Entscheidung Massachusetts v EPA, in der der US-amerikanische Supreme Court die grundlose Weigerung der US-Umweltschutzbehörde EPA, die Emission von Treibhausgasen zu regulieren, als Rechtsverletzung qualifizierte. Einen Schritt weiter ist das Bezirksgericht Den Haag 2015 im aufsehenerregenden Urteil Urgenda v The Netherlands gegangen. Das niederländische Recht stattet Nichtregierungsorganisationen mit einer Klagebefugnis gegen den Staat in Angelegenheiten des öffentlichen Interesses aus. Das Gericht gab der Klage einer Umweltschutzorganisation statt und verurteilte die niederländische Regierung dazu, Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen um 25 % bis 2020 zu ergreifen. Die von der Regierung angestrebte Reduktion um 17 % reiche nicht.

Die niederländische Regierung hat Berufung eingelegt, die Klage hat aber längst andere inspiriert. In der Schweiz haben die sogenannten Klimaseniorinnen ein Verwaltungsverfahren gegen die Schweizer Behörden eingeleitet, da deren Maßnahmen gegen die Erderwärmung ungenügend seien. Da die Auswirkungen des Klimawandels, wie etwa Hitzeperioden, gerade ältere Menschen besonders hart träfen, stelle die Untätigkeit der Behörden eine Verletzung ihres Rechts auf Leben dar.

Nicht überall stehen Betroffenen vergleichbare Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung. Dass den Staat Handlungspflichten zum Schutz seiner Bürger treffen, hat der EGMR freilich mehrfach bestätigt. In den Fällen Budayeva und Kolyadenko verurteilte er den russischen Staat zu Entschädigungszahlungen, weil dessen Behörden Maßnahmen zur Verhinderung tödlicher Naturkatastrophen (einer Überschwemmung bzw. eines Murenabgangs) unterlassen hatten. Es scheint nur ein kleiner Schritt zu sein, den Ansatz auf Klimaschäden auszudehnen, sodass Staatshaftungsansprüche wegen Grundrechtsverletzungen denkbar sind.

Damit ist auch der Blick auf das (private) Schadenersatzrecht eröffnet. Denn grundrechtlich geschützte Positionen ähneln den absolut geschützten Rechten des Privatrechts: Rechte auf Leben, Gesundheit oder Eigentum. Es verwundert daher nicht, dass erste „Klimakläger“ schadenersatzrechtlich gegen die privaten Verursacher des Klimawandels vorgehen.

Bauer in Peru, Inuit in den USA

Jüngst klagte ein peruanischer Bauer den deutschen Energiekonzern RWE vor dem LG Essen, weil er sein Grundstück vor der drohenden Überflutung durch einen Gletschersee schützen musste (Lliuya v RWE). Durch seine CO2-Emissionen habe RWE zur weltweiten Gletscherschmelze und damit zum Schaden des Klägers beigetragen.

In den USA gab es „Klimahaftungsklagen“ einer Gemeinschaft der Inuit, deren Dorf durch Erosion des Permafrostbodens unbewohnbar geworden war (Kivalina v ExxonMobil), sowie von Hauseigentümern, deren Heime dem – vom Klimawandel mutmaßlich verstärkten – Hurrikan Katrina zum Opfer gefallen waren (Comer v Murphy Oil). Auch Bundesstaaten traten als Kläger auf. So machte Kalifornien geltend, dass das Eigentum an seinen Küstenlinien durch den steigenden Meeresspiegel bedroht sei (California v General Motors); Connecticut sah seine Infrastruktur gefährdet (AEP v Connecticut).

Obwohl alle Kläger Eingriffe in ihre Eigentumsrechte erlitten hatten, war keine dieser Klagen erfolgreich; und auch der peruanische Bauer ist in erster Instanz gescheitert. Denn die Einwände gegen Ersatzansprüche sind beträchtlich. Emittenten verfügen in aller Regel über Betriebsanlagengenehmigungen, sodass ihre Treibhausgasemissionen regelmäßig nicht als rechtswidrig qualifiziert werden können. Auf Basis der europäischen Emissionshandelsrichtlinie verfügen CO2-Emittenten zudem über Emissionszertifikate, die erworben und gehandelt werden können. Wer über derartige „Verschmutzungsrechte“ verfügt, wird durch die Emission von Treibhausgasen kaum sorgfaltswidrig handeln.

Zuordnung sehr schwierig

Schadenersatzrechtlich kaum in den Griff zu bekommen ist auch der verwässerte Kausalzusammenhang zwischen Emissionen und konkretem Schadensereignis. Unzählige natürliche Ursachen beeinflussen das globale Klima; gleichzeitig sind die Beiträge einzelner Emittenten zur globalen Erderwärmung minimal. RWE soll etwa für 0,47 % der weltweiten Emissionen seit der Industriellen Revolution verantwortlich sein. Exemplarisch für die Unsicherheiten in der Kausalkette ist weiters die Lebensdauer von CO2 in der Atmosphäre, die je nach Quelle mit 20 bis 200 Jahren angegeben wird. Diese komplexe Gemengelage von Ursache, Wirkung und Wechselwirkung erlaubt es derzeit noch nicht, einzelne Schadensereignisse bestimmten Emittenten mit hinreichender Sicherheit zuzuordnen.

Der Klimawandel ist also eine juristische Kategorie geworden, aber er scheint (noch) kein geeigneter Fall für das Schadenersatzrecht zu sein.

AUF EINEN BLICK


Univ.-Prof. Dr. Martin Spitzer lehrt Bürgerliches Recht und Zivilverfahrensrecht an der WU Wien, Mag. Bernhard Burtscher, LL.M. (WU) BSc (WU) ist dort Universitätsassistent.Der Fall der Dritten Piste am Flughafen Schwechat ist nicht der einzige, in dem der Klimaschutz vor Gericht eine Rolle spielt. Auch in den Niederlanden oder der Schweiz gibt es Klagen. Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat bestätigt, dass den Staat Handlungspflichten zum Schutz der Bürger treffen. Doch Schadenersatzklagen sind schwierig, weil der Zusammenhang zwischen Emission und Schaden schwer zu beweisen ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.11.2017)

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