Es geht um Stimmungsmache, Geld und politische Verlogenheit. Eine ehrliche Debatte über die industrielle Landwirtschaft und Agrarchemie aber fehlt.
Nein! Die Antwort kommt aus dem Bauch heraus und ist vielleicht gar nicht falsch: Ich will nicht, dass das umstrittene Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat weiterhin in großen Mengen und in unverantwortlicher Weise ausgebracht wird. So mögen viele denken, die derzeit ein europaweites Bürgerbegehren gegen das Herbizid unterzeichnen. Angeheizt von politischen Aussagen, von Umweltorganisationen und rechten wie linken Gruppen, die gern gegen USA-Konzerne hetzen, ist eine Stimmung entstanden, die aller Voraussicht nach dazu führen wird, dass Glyphosat aus dem Verkehr gezogen wird. Das Problem daran ist nur, dass niemand die darauf folgenden viel größeren Konsequenzen sehen möchte.
Doch vorerst zurück zur Glyphosatdebatte: Sie hat sich zu einem Machtkampf zwischen Umweltschutzgruppen und Industrie entwickelt, wie ihn bisher kaum jemand gesehen hat. Einzig der Konflikt um Atomkraft ist vergleichbar. Da wird von der einen Seite mit Studien zu gesundheitlichen Auswirkungen übertrieben, die Dosierung überhaupt nicht einbezogen. Da werden von der anderen Seite vom US-Konzern Monsanto alle Tricks der Lobbyingarbeit genutzt, um Behörden, Politiker und Öffentlichkeit zu manipulieren.
Der Schluss liegt nahe: Es geht um weit mehr als nur um Round-up, den Marktleader für Unkrautvernichtung. Wer sich die Dimensionen bewusst macht, bemerkt, welches Gewicht diese Debatte hat. Glyphosat wird derzeit massiv nicht nur in der Landwirtschaft, sondern auch in privaten Gärten eingesetzt. Über 340 Tonnen wurden zuletzt in Österreich jährlich verkauft. Der größte Abnehmer waren die ÖBB, die damit ihre Gleiskörper besprühten.
Die chemischen Alternativen sind kaum empfehlenswert. Zuletzt gab es in den USA eine riesige Beschwerdewelle gegen das Herbizid Dicamba wegen des Verdachts, die Ernten zu schädigen. In Frankreich wurde die Lizenz für den Bayer-Unkrautvernichter Basta F1 wegen möglicher Gesundheitsgefährdung zurückgezogen. Fakt ist, dass ein Aus für Glyphosat ein massives Umdenken in der Bodenbearbeitung notwendig machen würde.
Solche komplexen Diskussionen sind in der öffentlichen Debatte aber weit weniger populär als die Angst vor möglicherweise krebserregenden Stoffen. Denn es geht hier um eine Reform der industriellen Landwirtschaft, um deutlichen Mehraufwand im Wein- und Obstbau. Es geht um die Agrarchemie schlechthin. Denn Monsanto befürchtet zu Recht, dass ein Ende für Round-up der Beginn einer Welle von weiteren Verboten sein könnte.
Der Einsatz von Glyphosat hat einen Nebeneffekt, der kaum bestritten wird: Er fördert Monokulturen und zerstört den Lebensraum von Insekten, die keine geeignete Nahrung mehr vorfinden. „Der häufige Einsatz von Round-up vernichtet das Blütenangebot schlagartig“, schreibt der anerkannte Landschaftsökologe Heinz Wiesbauer in seinem jüngsten Buch, „Wilde Bienen“.
Die einzig logische Alternative ist deshalb eine Rückkehr zu einer mechanischen Bearbeitung des Bodens. Sie wäre in vielen Fällen aufwendiger, kurzfristig weniger wirksam, hätte voraussichtlich den Nebeneffekt geringerer Ernteerträge. Sie würde aber gepaart mit einer Fruchtfolge auf Feldern die Qualität der Lebens- und Futtermittel steigern.
Es ist ein Vorurteil, dass Bauern diese Konsequenzen nicht mittragen würden. Viele von ihnen haben längst ein gesundes Empfinden entwickelt, welche Eingriffe in die Natur nur praktisch und welche nachhaltig störend sind. Sind etwa die Insekten vertrieben, wird auch der Kampf gegen Schädlinge aufwendiger, weil deren natürliche Feinde abhandenkommen. Das macht den Einsatz von noch mehr Chemie notwendig. Um die Landwirte aus dieser Spirale herauszuführen, müsste freilich der Preisdruck des Handels auf sie gesenkt werden, müssten die Produktionskosten nicht nur durch Förderungen abgedeckt werden. Das bedeutet letztlich auch eine notwendige Akzeptanz höherer Preise.
Ein besseres Leben gibt es nicht geschenkt. Jeder kann das am eigenen Leib erleben, wenn er im Garten oder auf der Terrasse auf Round-up verzichtet und das Unkraut wieder händisch beseitigt.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2017)