Im Libanon zeichnet sich ein neuer Stellvertreterkrieg zwischen Saudiarabien und dem Iran ab. Europa schläft wieder einmal. Es wird sich dann mit den Folgen herumzuschlagen haben.
Im Nahen Osten braut sich der nächste Krieg zusammen. Die Mittelmeerinsel Zypern bereitet sich schon auf eine Flüchtlingswelle aus dem nur 290 Kilometer entfernten Libanon vor. Der Rest Europas schläft tief und fest – mit Ausnahme des französischen Präsidenten Macron, der sich wenigstens zu einer Blitzvisite in Riad aufraffte. Es bahnt sich ein neuer Stellvertreterkrieg zwischen Saudiarabien und dem Iran an. Über ihre verbündeten Milizen kreuzen die beiden Großmächte der Sunniten und Schiiten bereits in Syrien und im Jemen die Klingen. Nun pflügen sie ein altbekanntes Schlachtfeld um: den Libanon. Und mittendrin im Gewimmel wäre Israel.
Der libanesische Premier ist aus dem Spiel. Saad Hariri dürfte sich noch in der saudischen Hauptstadt Riad aufhalten, wo er neulich seinen Rücktritt bekannt gab. Er wolle nicht dasselbe Schicksal wie sein Vater erleiden, richtete Libanons Regierungschef aus. Hariri senior starb 2005 durch ein Attentat, dessen Spuren zu zwei Schutzbefohlenen des Iran führten: zu den libanesischen Hisbollah-Milizen und zum Assad-Regime.
Die Zündschnüre sind quer über den Nahen Osten verlegt. Diesmal kam der Funke, der die Lunte in Brand setzte, aus dem Jemen angeflogen. Am Wochenende fing die saudische Luftabwehr eine Rakete ab, die von schiitischen Huthis abgefeuert worden war. Postwendend ließ Saudi-Kronprinz Mohammed bin Salman die Kriegsrhetorik gegen die Waffenlieferanten der Huthis hochzüngeln: die Hisbollah und den Iran.
Zauberlehrling. Der neue starke Mann in Riad hat sein Land vor zwei Jahren schon in ein desaströses Militärabenteuer im Jemen gestürzt. Er scheint davon beseelt zu sein, dem Iran die Stirn zu bieten, und nur auf einen Anlass für die ultimative Konfrontation zu warten. Gleichzeitig will der 32-Jährige sein Land umkrempeln. Elf Prinzen ließ der Heißsporn jüngst einsperren. Davor hatte er sich in großer Reformergeste mit dem islamistischen Establishment angelegt. Der Thronfolger will alles auf einmal erledigen.
Er rüttelt am Fundament Saudiarabiens und am Gleichgewicht der Region. Sollte er sich als Zauberlehrling erweisen, fliegt ihm binnen kürzester Zeit Saudiarabien um die Ohren und der ganze Nahe Osten gleich mit.
Wären die Zeiten normaler, geböten dem Protz die US-Verbündeten Einhalt. Doch im Weißen Haus sitzt einer, der selbst Kraftmeiereien liebt und gern Öl ins Feuer gießt. Zur Freude der Saudis untergräbt Trump mit aller Macht das Atomabkommen mit dem Iran. Das wird die Zurückhaltung der Iraner nicht fördern, die ihren Einfluss in der Region seit Jahren eisenhart ausbauen.
Stabil kann der Nahe Osten nur werden, wenn Saudiarabien und der Iran auf dem Verhandlungstisch einen Ausgleich finden. Der große Krieg, der sich zwischen Schiiten und Sunniten abzeichnet, schreit nach einem Westfälischen Frieden, aber nicht erst nach 30 Jahren. Die EU wäre ein idealer Vermittler. Auch Österreich könnte dabei eine Rolle spielen. Doch leider sind zwischen Wien, Berlin und London wieder einmal alle mit sich selbst beschäftigt. Europa wird die Folgen seiner Untätigkeit bald zu spüren bekommen. Es wäre nicht das erste Mal.
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("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.11.2017)