Der verschollene Premier, Saad Hariri, meldet sich via TV-Interview zurück. Er erwägt Rücktritt vom Rücktritt. Er nennt eine Hisbollah-Stillhaltepolitik als Bedingung.
Wien/Beirut. Beiruts Straßen sind gesäumt mit den Konterfeis Saad Hariris, die die Rückkehr des zurückgetretenen Premierministers Saad Hariri aus Saudiarabien fordern. Darauf prangen Parolen wie „Wir sind alle Saad“ oder „Wir warten alle auf Sie“. Groß war darum die Erleichterung in Libanons Hauptstadt über ein Interview Hariris, das der libanesische TV-Sender Future TV mehr als eine Woche nach dem Abflug Hariris nach Riad am Sonntagabend ausgestrahlt hat. Abgesehen von einer Stippvisite in den Vereinigten Arabischen Emiraten war er verschollen.
Er werde in den nächsten Tagen nach Beirut zurückkommen, kündigte der 47-Jährige an. Möglicherweise werde er auch seinen Rücktritt zurücknehmen. Als Bedingung nannte Hariri, dass sich die Hisbollah – ein Teil des Regierungsbündnisses – aus Konflikten im Ausland heraushalte. Die Schiitenmiliz, ein Vasall des Iran, mischt an der Seite des Assad-Regimes im syrischen Bürgerkrieg und womöglich auch im Jemen mit.
Die Länder am Persischen Golf (Golfstaaten) haben zwar Großteils dieselbe Stammreligion, den Islam. Doch schiitische und sunnitische Bevölkerungsgruppen sind einander oft feindlich gesinnt oder werden gegeneinander ausgespielt im Machterhalts-Poker der politischen Eliten. Doch es geht nicht nur um religiöse Trennlinien. Durch die jüngsten Ereignisse im Libanon werden einmal mehr die verschiedenen Einflussspähren der Region sichtbar. Wer hilft aus welchem Grund zu wem?Ein Kurz-Überblick von Klemens Patek NASA/Handout Saudiarabien ist das sunnitisch-wahabitische Zentrum der Golfregion - eine extrem strenge Auslegung des sunnitischen Islams. Die USA sind treue Verbündete der Saudis, an deren Staatsspitze die Königsfamilie steht: der angeblich schwer kranke König Salman bin Abd al-Aziz (im Bild), bzw. sein in Stellung gebrachter Kronprinz Mohammed bin Salman, der den Druck auf Staatsfeind Nummer eins Iran erhöht und generell außenpolitisch einen härteren Kurs fährt - auch im Jemen. REUTERS Saudiarabien versteht sich als Schutzmacht der Sunniten, der Iran als die der Schiiten. Im Jemen führen sie einen Stellvertreterkrieg. Hinzu kommt, dass der Iran durch das internationale Atomabkommen, das US-Präsident Donald Trump infrage stellt, aus seiner Isolation kommt und als Regionalmacht immer mehr Bedeutung gewinnt. Der Iran leistet den schiitischen Houthi-Rebellen Beistand, die die Regierung des Präsidenten Abd-Rabbu Mansour Hadi (im Bild) gestürzt haben und ihr Korruption vorwerfen. Saudiarabien wirft dem Iran vor, den Houthi militärisch zu helfen, was die Regierung in Teheran aber bestreitet. Saudiarabien, das an den Jemen grenzt, bekämpft die Houthi-Rebellen unter anderem durch den Einsatz der Luftwaffe und will der international anerkannten Regierung Hadis wieder zur Macht verhelfen. Der Konflikt hat eine der größten Krisen weltweit ausgelöst, Tausende Menschen kamen bisher ums Leben. Der Jemen liegt auf der Arabischen Halbinsel, ist aber kein Anrainerstaat des Persischen Golfs, daher auch kein Golfstaat. REUTERS Eine Sonderrolle auf der arabischen Halbinsel kommt dem Oman zu, der sich in den diplomatischen Konflikten der Region nicht zu Wort meldet. Einer der Gründe: ein großer Teil der Bevölkerung gehört den Ibaditen an, einer muslimischen Strömung, die weder Schiiten noch Sunniten nahe steht. Durch Zuwanderung kommen jedoch immer mehr Sunniten ins Land. Der Oman ist Mitglied im Golf-Kooperationsrat. Das Land wird seit 1970 vom absolutistischen Herrscher Sultan Qabus bin Said regiert, der sich nicht mehr oft in der Öffentlichkeit zeigt. Das Bild mit dem damaligen iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmedinejad (li.) datiert aus dem Jahr 2007. Nach Protesten während des "Arabischen Frühlings" im Februar 2011 hat er Verfassungsänderungen angekündigt, die Situation hat sich aber kaum verändert. Stringer Die VAE bestehen aus sieben Emiraten, die 1971 als Staat unabhängig wurden. Das Land ist nur wenig kleiner als Österreich und zählt vier Millionen Einwohner, jedoch sind nur ein Fünftel davon Staatsbürger der VAE, der Rest sind Migranten. Die Emirate werden föderal verwaltet, wobei der Wohlstand in Dubai am größten ist. Traditionell ist der Emir von Abu Dhabi Präsident der VAE, Dubai stellt den Vizepräsidenten. In Syrien und im Irak unterstützte die Luftwaffe der VAE die Allianz unter Führung der USA im Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat. Saudiarabien gilt als "großer Bruder". Doch zeigten sich die Scheichs flexibler, was gesellschaftliche Öffnung anbelangt. Auch mit dem Iran wird geredet, trotz dreier vom Iran seit 1971 besetzter Inseln (Abu Musa). Ja selbst mit Israel soll es eine Art Geheimdiplomatie geben. Im Bild: Der Kronprinz von Abu Dhabi: Scheich Mohammed bin Zayed al-Nahyan und Scheich Mohammed bin Rashid al-Maktoum, Premierminister/Vize-Präsident und Emir von Dubai. REUTERS Das libanesische Parlament ist tief gespalten zwischen dem von den USA und dem sunnitischen Saudiarabien unterstützten Lager um den zurückgetretenen Ministerpräsidenten Saad al-Hariri (im Bild mit dem saudischen König) und einem von der schiitischen Hisbollah angeführten Block, der vom Iran und von Syrien unterstützt wird. Staatschef Michel Aoun ist maronistischer Christ. Das Waffenarsenal der Hisbollah ist mittlerweile umfangreicher als das der libanesischen Armee. Die Miliz beansprucht für sich, der einzige Schutz des Libanon gegen mögliche Angriffe durch das benachbarte Israel zu sein. Die politischen Gräben haben sich durch den Bürgerkrieg im Nachbarland Syrien, in dem die Hisbollah auf der Seite von Machthaber Bashar al-Assad kämpft, weiter vertieft. REUTERS Saudiarabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Ägypten hatten im Juni eine Blockade gegen Katar verhängt. Sie werfen dem kleinen, aber reichen Emirat unter anderem vor, Terrorgruppen zu finanzieren. In einem Forderungskatalog verlangten sie von Doha und Emir Tamim bin Hamad Al-Thani (im Bild mit US-Außenminister Rex Tillerson), seine Verbindungen zu Terroristen aufzugeben und die Beziehungen zum schiitischen Iran zurückzufahren. Auch die türkischen Soldaten sollten das Land verlassen. Wie Saudiarabien ist auch Katar sunnitisch geprägt. Das größte Problem für die Saudis ist die Unterstützung Katars der Muslimbrüder, einer religiösen Massenbewegung, die aus Sicht Saudiarabiens eine Gefahr für die Macht des Königshauses darstellt. Auch der TV-Sender "Al-Jazeera" ist katarisch und wird von vielen arabisch-muslimischen Ländern kritisch beäugt bzw. in der letzten Krise blockiert. APA/AFP/ALEX BRANDON Bahrain ist das einzige Land auf der arabischen Halbinsel, in dem Schiiten die Mehrheit haben. Doch beherrscht wird der aus 33 Inseln bestehende Staat vom sunnitischen Königshaus, das Saudiarabien eng verbunden ist. Saudische Streitkräfte halfen dabei, einen Aufstand im Jahr 2011 niederzuschlagen. Schiitische Bewegungen boykottierten die letzten Wahlen zu parlamentsähnlichen Versammlungen, 2016 wurde eine führende Gruppe gar aufgelöst, das Vermögen konfisziert. Die Beziehungen zu Saudiarabien und den übrigen Mitgliedern des Golfkooperationsrates sowie den USA sind die beiden Grundpfeiler der bahrainischen Außenpolitik (im Bild Außenminiser Bin Ahmed Al-Khalifa). In Bahrain befindet sich das regionale Hauptquartier der 5. US-Flotte. In der Vergangenheit hatten iranische Politiker mehrfach die Unabhängigkeit Bahrains in Frage gestellt. Bahrain wirft dem Iran zudem vor, sich in die inneren Angelegenheiten des Landes einzumischen und die Aufstände im Jahr 2011 angestachelt zu haben, bzw. die Jugend zu radikalisieren. REUTERS Die Bevölkerung im Emirat Kuwait ist überwiegend muslimisch, davon sind 65 Prozent Sunniten und 35 Prozent Schiiten. Staatsoberhaupt ist der Emir (Sabah Al-Ahmad Al-Sabah), die Scharia ist das Vorbild für das Rechtssystem. Eine enge Sicherheitspartnerschaft besteht mit den Vereinigten Staaten, die als Garant für die staatliche Unabhängigkeit Kuwaits fungieren. Zum nördlichen Nachbarn Irak gibt es diplomatische Beziehungen, die Skepsis gegenüber dem Nachbarn blieb nach der Kuwait-Krise (Irak marschierte ein) im Jahr 1990 aber groß. Der Irak erkannte im November 1994 die Unabhängigkeit des Landes an. Die Unterstützung des Iraks durch die Palästinenser während des Zweiten Golfkrieges hatte die Vertreibung der Palästinenser aus Kuwait 1991 zur Folge. Binnen weniger Tage wurden etwa 450.000 Palästinenser aus Kuwait vertrieben. APA/AFP/YASSER AL-ZAYYAT Der Iran ist der große schiitische Gegenspieler in der Golfregion. Mit der klaren schiitischen Bevölkerungsmehrheit will sich der Iran als Regionalmacht etablieren. Außerdem ist der Großteil der Bevölkerung persisch und nicht arabisch. Das sunnitische Saudiarabien ist - abgesehen von den USA und Israel - Erzfreind. Der Iran unterstützt aktiv die schiitischen Hisbollah-Miliz im Libanon oder auch die schiitischen Kräfte im Jemen, um seinen Einflussbereich auszubauen. Die Beziehungen zu den USA sind legendär mangelhaft, das konnte auch der neue Atomvertrag nicht verändern, den US-Präsident Donald Trump ohnehin auflösen will. Im Iran gibt es zwar einen aktiven demokratischen Teil im politischen System, doch das letzte Wort gehört dem Obersten Religiösen Führer, im Moment Ali Khamenei (im Bild). Auch als "moderat" bezeichnete Politiker wie Präsident Hassan Rohani sind vom Wohlwollen der religiösen Führung abhängig. REUTERS Der Irak ist vor allem mit sich selbst beschäftigt. Die Bevölkerung des Landes ist heterogen zusammengesetzt. Neben großen schiitischen Regionen, gibt es auch eine große sunnitische Minderheit im Land - ein Mitgrund dafür, dass sich die sunnitischen Extremisten der Terrormiliz "Islamischer Staat" zu Beginn relativ einfach in deren Gebieten ausbreiten konnten - die Sunniten waren frustriert von der schiitischen Regierung. Durch die Kurdenregion im Norden gibt es weiteren Konfliktstoff. Generell sind neben dem Iran (schiitische Bindung) die USA nach dem Truppenabzug ein wichtiger Partner des Iraks. Die Beziehungen zur Türkei sind durch jüngste militärische Vorstöße des Nachbarn auf eigenes Territorium wegen der Kurdenkrise angespannt. Saudiarabien hat Interesse an einem Irak, der die sunnitischen Bevölkerungsgruppen miteinbezieht. Im Bild: der irakische Premier Haider al-Abadi mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani. APA/AFP/IRANIAN PRESIDENCY/HO Die Türkei hat durch den generellen Machtanspruch von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Sonderrolle in der Region. Das stete Streben in Richtung EU-Beitritt wurde zuletzt gestoppt, dennoch ist die Türkei das Tor zum arabischen Raum für den Westen. Auch als Schutzmacht der Turkstaaten (Aserbaidschan, Usbekistan, Turkmenistan, Kirgisistan und Kasachstan) tritt die Türkei auf. In der Katar-Krise hat sich die Türkei klar gegen die arabischen Staaten um Saudiarabien gestellt, besitzt auch eine Militärbasis in Katar. Auch in Syrien ist man nicht immer einer Meinung mit Saudiarabien. APA/AFP/ADEM ALTAN Auch in Jordanien ist die überwältigende Mehrheit der Staatsbürger sunnitisch. Der Islam ist Staatsregion. Staatsform ist eine konstitutionelle Monarchie. König Abdullah II. (im Bild) ist Staatsoberhaupt und ernennt die Regierung. Jordanien war stets auf gute Beziehungen in den Westen bedacht. Schwierig war stets das Verhältnis zu den Palästinensern, deren Westjordanland an den Libanon grenzt. Die PLO wurde 1971 im "Schwarzen September" aus Jordanien vertrieben, die von Syrien und dem Iran unterstützte Hamas wurde in Jordanien 1999 verboten, wird jedoch seit 2011 wieder geduldet. Zuletzt gab es vereinzelt Anschläge des IS, die große Armut in weiten Teilen der Bevölkerung führt auch zu einer verstärkten Radikalisierung und Sympathie für die Terrormiliz. APA/AFP/LARS HAGBERG Die Situation im Syrien bleibt unübersichtlich. Machthaber Bashar al-Assad (im Bild mit Spielern der syrischen Fußball-Nationalmannschaft) galt als Stabilitätsfaktor zwischen den einzelnen ethnischen Gruppen, allerdings mit Gewalt und Repression. Er sitzt weiterhin fest im Sattel in Damaskus. Der Großteil der Muslime (etwa 74 Prozent) im Land sind Sunniten, im Osten gibt es die kurdischen Gebiete. Assad selbst gehört der religiösen Minderheit der Alawiten an. Syrien hat traditionell enge Kontakte zur palästinensischen Hamas, zur Hisbollah sowie zur Amal-Bewegung und dem Iran. In stabilen Zeiten verstand sich Syrien als Schutzmacht des Libanons. Die letzten Einheiten der syrischen Armee verließen nach Massenprotesten in Beirut den Libanon Ende April 2005. Es gibt einen nicht erst seit dem Krieg ausgeprägt guten Draht nach Russland. Syrien erkennt den Staat Israel nicht an. Um die Golanhöhen tobte lange Zeit Streit, bis die UNO die Verwaltung übernahm. Der Konflikt ist dennoch ungelöst. APA/AFP/SANA/HO (c) APA (c) APA Religiöse und andere Trennlinien rund um die arabische Halbinsel Wie die Hisbollah und ihre Schutzmacht Iran reagierte Michel Aoun, der libanesische Präsident, positiv auf das Interview Hariris. Er hatte sich geweigert, die Demission des Ministerpräsidenten zu akzeptieren. Aoun streute die Version, dass Hariri in Saudiarabien unter Hausarrest stehe, was dieser indessen dementierte. Er sei ein freier Mann, sagte er. „Ich habe meine Rücktrittserklärung selbst geschrieben, und mein Ziel war es, einen positiven Schock auszulösen.“
Hariri sei entführt worden, heißt es indessen in Beirut – just zum Zeitpunkt einer „Säuberungswelle“ im Königshaus und einer Verschärfung der Politik Riads gegenüber dem Erzrivalen in Teheran. Demnach hatte ihn Kronprinz Mohammed bin Salman, der neue starke Mann, nach Riad beordert. Dort sei ihm eine Erklärung vorgelegt worden. Angeblich hat ein Treffen Hariris mit Ali Akbar Velayati, dem außenpolitischen Berater des iranischen Führers Ayatollah Ali Khamenei, den Unmut der Saudis hervorgerufen. Das Königshaus soll zudem den älteren Bruder Saad Hariris, Bahaa, mit dem er sich überworfen hat, als Premierminister favorisieren.
Die USA und Frankreich warnten vor einer Destabilisierung des Libanon. Nach Präsident Macron wird auch Außenminister Jean-Yves Le Drian demnächst nach Riad reisen – und später auch nach Teheran. (vier)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2017)
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