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Die Schweigeminute: Als die Pariser ein Ritual erfanden

Frankreich gedenkt den Opfer der Paris-Anschläge vor zwei Jahren.
Frankreich gedenkt den Opfer der Paris-Anschläge vor zwei Jahren.(c) REUTERS
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Schon die Portugiesen schwiegen, England schuf die Zwei-Minuten-Pause. Dann kam Frankreich.

Sie gehört zu den wichtigsten Ritualen des Gedenkens an Tote und Katastrophen: die kurze, gewöhnlich eine Minute lange Zeitspanne gemeinsamen Schweigens. Auch Frankreich hat am Montag, dem Jahrestag der Pariser Terroranschläge vor zwei Jahren, seine „minute de silence“ abgehalten.

Frankreich ist auch das Land, das die Schweigeminute erfunden und dann 1922 zum ersten Mal praktiziert hat. Kurz vor dem ersten Jahrestag des Waffenstillstands vom Ersten Weltkrieg am 11. November verabschiedete es 1919 ein Gesetz zum Gedenken an die Kriegstoten des Weltkriegs. Die darin festgesetzte Schweigeminute war das Gegenteil des bisherigen Gedenkgetöses mit Glocken und Kanonenschüssen. Eine säkularisierte Form des Gebets für Gläubige wie Ungläubige.

60 Sekunden – das Zeitmaß ist eine französische Kreation. Inspiriert wurden die Franzosen aber von außerhalb. Ein ehemaliger Soldat der britischen Armee hatte in einem offenen Brief an eine englische Zeitung ein Schweigeritual von fünf Minuten zum Gedenken an den Waffenstillstand des Ersten Weltkriegs vorgeschlagen. Der südafrikanische Autor James Percy FitzPatrick, inspiriert von einer in der Stadt Cape Town 1918 eingeführten täglichen Gedenkpause, schlug dem englischen König George V. stattdessen zwei Minuten vor: eine Minute für die Toten, eine für die Überlebenden. Diese Zwei-Minuten-Pause am 11. November hat sich durchgesetzt und in den Ländern des Commonwealth bis heute erhalten.

Der erste Fall eines Schweigemoments ist aus Portugal bekannt. Er galt 1912 einem soeben verstorbenen brasilianischen Politiker, der als einer der Ersten die portugiesische Republik anerkannt hatte. Die dortigen Parlamentsabgeordneten waren ausdauernder als ihre Nachahmer: Sie schwiegen zehn Minuten lang.

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.11.2017)

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