USA: Die Puzzlearbeit der Geheimdienste

(c) EPA (Dennis Brack/Blackstar/Pool)
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Seit den Anschlägen von 9/11 haben die USA ein Wirrwarr von 16 Geheimdiensten, ein Antiterror-Zentrum und einen Geheimdienstkoordinator, der nicht viel zu sagen hat.

Die beiden Geheimdienstbastionen liegen nur ein paar Meilen voneinander entfernt im Grüngürtel rund um die Hauptstadt Washington. Umgeben von einem Waldgebiet in Langley, nahe dem Fluss Potomac, erstreckt sich der berühmt-berüchtigte Auslandsgeheimdienst CIA. Gegründet nach dem Zweiten Weltkrieg, haben sich die Agenten in allerlei Kriegen und Krisen die Finger schmutzig gemacht, was der weltweiten Reputation nicht sonderlich förderlich war. Aber auch in den USA hat der Ruf nach zahlreichen Pannen, etwa im Vorfeld des Irak-Kriegs, schwer gelitten.

Am Rande des Nobelvororts McLean in Virginia, wo auch viele Politiker ihr Domizil haben, überblickt der moderne Bürokomplex des National Counterterrorism Center den Beltway, die Ringautobahn. Die Glasfassade erweckt den Anschein von Transparenz: Hier soll nichts verborgen bleiben, was die Sicherheit der Nation ins Wanken bringen könnte. Im nationalen Antiterrorzentrum, der im Gefolge der 9/11-Katastrophe geschaffenen zentralen Sicherheitsbehörde der USA, sollen die Fäden der Geheimdienstarbeit zusammenlaufen. Hier soll das von den 16 US-Geheimdiensten zusammengetragene Material gesichtet, analysiert und ausgewertet werden.



Es ist das Nervenzentrum einer vom Terrorismus bedrohten Supermacht, in der die Nerven seit dem vereitelten Anschlag am Weihnachtstag wieder besonders blank liegen. Der Attentatsversuch hat Erinnerungen an jenen fatalen Herbsttag im September 2001 wachgerufen, als Flugzeuge zu tödlichen Bomben wurden und die Geheimdienste kläglich versagt hatten.

Digitaluhren zeigen die Zeit in den diversen Hotspots an. In den Großraumbüros mit den omnipräsenten TV-Monitoren laufen rund um die Uhr neue Daten ein. Die Mitarbeiter wühlen sich durch Berichte und Aktennotizen, durchforsten E-Mails und Abhörprotokolle nach Terrorhinweisen, begutachten Satellitenfotos und Überwachungsvideos. Experten der diversen Geheimdienste sind an das Antiterrorzentrum angedockt, sie schauen den Kollegen über die Schulter. Es gibt mehrmals täglich Briefings, und ein regelmäßiger Austausch von Mitarbeitern soll die Kommunikation zwischen den Sicherheitsagenturen verbessern.

Auf ihrer Homepage verheißt die Geheimdienst-Community zwar „Einheit“ und die „Macht der Partnerschaft“. Doch das alte Konkurrenzdenken, die Rivalitäten und Eifersüchteleien sind nicht überwunden. Exgouverneur Thomas Kean, der Vorsitzende der 9/11-Untersuchungskommission, zieht Parallelen zu der Ära vor dem traumatischen Angriff auf die Zwillingstürme des World Trade Center, der ersten groß angelegten Attacke auf US-Boden seit dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour. „Es ist frustrierend.“ Kean stellt den Geheimdiensten ein schlechtes Zeugnis aus: „Die Revierkämpfe dauern an. Die Dienste streben nach Macht, scheuen aber die Verantwortung. Es herrscht eine gewisse Trägheit vor.“

Tatsächlich sind die CIA und das nationale Antiterrorzentrum trotz der geografischen Nähe nicht unbedingt näher zusammengerückt. Als im Vorjahr ein Machtkampf zwischen CIA-Chef Leon Panetta und dem nationalen Sicherheitskoordinator Dennis Blair entbrannte, wer denn nun die Spionagechefs für die einzelnen Länder ernennen sollte, schlug sich das Weiße Haus auf die Seite der CIA. Blair war düpiert. Ohnehin kritisieren Geheimdienstleute, dass der Sicherheitskoordinator und das Antiterrorzentrum mit zu wenig Kompetenzen ausgestattet seien. Richard Clarke, oberster Terrorexperte George W. Bushs und später einer seiner schärfsten Kritiker, zeigte sich zwar verwundert, dass noch immer dieselben Fehler auftreten. Zugleich attestierte er: „Das System ist gut, aber verbesserungsfähig.“

Die CIA ist nicht erst seit dem Anschlag auf ein Camp im afghanischen Khost vor zwei Wochen stark angeschlagen. Michael Flynn, der stellvertretende CIA-Kommandant für Afghanistan, hat jüngst ein vernichtendes Urteil über die Geheimdienstarbeit am Hindukusch gefällt. „Die Entscheidungsträger schenken inzwischen den Zeitungsberichten mehr Vertrauen.“

Einst war der Auslandsgeheimdienst die federführende Organisation unter den US-Diensten, der CIA-Chef saß traditionell mit am Kabinettstisch des Präsidenten. Das Informationsdesaster rund um die Anschläge des 11.September 2001 hat dazu geführt, dass die Regierung George W. Bush das System umgekrempelt hat. CIA, der Inlandsgeheimdienst FBI und die NSA, die National Security Agency, haben damals eigenständig die Spuren der späteren Flugzeugattentäter verfolgt. Im August 2001 hat die CIA sogar noch Alarm vor einem bevorstehenden Anschlag durch die Gruppe um Osama bin Laden geschlagen. Die Informationsstränge wurden – ähnlich wie im Fall des nigerianischen „Unterhosenbombers“ Umar Faruk Abdulmutallab – jedoch nie zusammengeführt.


Wildwuchs der geheimen Dienste. Unter dem Eindruck des 9/11-Fiaskos hat Bush ein eigenes Heimatschutzministerium installiert, das zusammen mit dem Pentagon – dem Verteidigungsministerium – zuständig ist für den Schutz vor dem äußeren Feind. Den Wildwuchs der diversen Sicherheitsdienste hat die Geheimdienstreform indes nicht beseitigt. Allein dem Pentagon unterstehen acht Geheimdienste, darunter je eine für jede Waffengattung. Der gesamte Apparat der einzelnen Dienste umfasst 200.000Mitarbeiter.

Die gesammelte Datenmenge ist so angeschwollen, dass die Sicherheitsdienste mit der Auswertung nach Aussage von CIA-Veteranen überfordert sind. „Das System ist voll gestopft mit Informationen, und das Meiste ist ohne Belang. Die Mitarbeiter fürchten sich, einen Hinweis zu verpassen“, zitiert die „Washington Post“ einen altgedienten Agenten. Durch die Hände eines leitenden Beamten des Antiterrorzentrums gingen täglich 10.000Informationsteilchen, rechnet der CIA-Mann vor – ein Puzzle von einer unglaublichen Dimension.
„Das tägliche Datenmaterial ist viermal größer als das Volumen der Kongressbibliothek“, stellt der Historiker Matthew Aid fest. Das Problem liegt weniger im Erfassen der Information als in der Analyse. Die vom CIA, dem Außenministerium und der NSA gesammelten, für sich genommen eher vagen Info-Mosaikstücke für den Anschlagsversuch Abdulmutallabs lagen vor, doch gingen sie im Datenwust unter. „Beim nächsten Mal werden wir nicht mehr so glücklich sein“, meint der frühere Leiter der Kommission zur Aufklärung der Anschläge des 11.September, der Politiker Thomas Kean. 28Anschläge haben die US-Geheimdienste seit dem September 2001 verhindert.

Das Bedrohungsszenario hat sich seither gewandelt. Jetzt richtet sich das Augenmerk verstärkt auch auf potenzielle Terroristen, die in den USA aufgewachsen sind – wie den Militärpsychiater Nidal Malik Hasan, der im November in Fort Hood, der größten US-Kaserne, ein Massaker verübt hat. Ein Fall für die Militärgeheimdienste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2010)

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