Italien: Die trügerische Ruhe nach Rosarno

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Anstatt die Migration zu erklären und zu steuern, hat die Regierung in Rom sie zum reinen Sicherheitsproblem gemacht. Es hilft nur noch Polizeigewalt. Die Behörden lösten das Problem auf ihre Weise

Rom. Mit Dantes Inferno verglichen italienische Kommentatoren die Vorgänge in Rosarno, einer Kleinstadt an der Küste Kalabriens. Und es war tatsächlich eine verstörende, hässliche Explosion von Gewalt. Hunderte von afrikanischen Wanderarbeitern zogen randalierend durch das Städtchen, setzten Autos in Brand und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Ein Teil der Bewohner reagierte nicht minder verstörend und blies zur Hatz auf die sogenannten Clandestini. Die Behörden lösten das Problem auf ihre Weise: Sie ließen einen Großteil der rund 2000 Ausländer in Auffanglager in anderen Städten einweisen. Seitdem herrscht wieder Ruhe in Rosarno. Doch die Ruhe ist trügerisch.

Denn Rosarno ist kein Einzelfall. An die Zustände in den USA der 1960er-Jahre fühlt sich die linksliberale Tageszeitung „La Repubblica“ erinnert. „Wie konnte es nur so weit kommen?“, fragte sie gestern ratlos. Und lieferte die Antwort ein paar Seiten weiter gleich mit. Fotos von anderen „Ghettos“ zeigen elende Lager für Roma am Rand der Städte, Migranten aus Bangladesch und Sri Lanka, die in Tunnels hausen, Rumänen in Bruchbuden ohne Strom und Wasser. All das ist nicht neu.

Die Lebensumstände der Afrikaner in Rosarno sind nur ein besonders augenfälliges Beispiel für eine Einwanderungspolitik, die diesen Namen kaum verdient. Denn Italien, das einst ganze Generationen auf der Suche nach einem besseren Leben verlassen haben, ist längst selbst zum Einwanderungsland geworden. Kaum ein anderes europäisches Land aber tut sich so schwer damit, diesen Wandel zur Kenntnis zu nehmen. Die Regierung von Silvio Berlusconi, vor sich her getrieben vom kleineren Koalitionspartner Lega Nord, zündelt bei dem brisanten Thema und schürt die Ängste in der Bevölkerung. Anstatt Migration zu erklären und zu steuern, hat sie sie zum reinen Sicherheitsproblem gemacht und illegale Einwanderer so kriminalisiert, dass Übergriffe gegen sie salonfähig geworden sind. Auch jetzt bleibt es der Kirche vorbehalten, mehr Toleranz und Bemühungen um Integration zu fordern.

Verborgene Legalisierung

Dabei braucht Italiens Wirtschaft die Migranten genauso wie andere europäische Länder auch. Eher im Verborgenen legalisiert Rom immer wieder Hunderttausende. Mehr als 4,5 Millionen Ausländer leben mittlerweile in Italien – das entspricht etwa sieben Prozent der Bevölkerung. Sie arbeiten in den Fabriken des Nordens und auf den Feldern des Südens, putzen Wohnungen, bedienen in Restaurants und pflegen die Alten und Kranken, und die Mehrzahl tut das mit gültigen Papieren. Doch daneben ist seit Jahren eine Parallelwirtschaft herangewachsen, die sich skrupelloser Methoden bedient und vor allem Afrikaner zu Bedingungen beschäftigt, die eine moderne Form der Sklaverei sind. Mehr als 50.000 sollen in ganz Italien unter ähnlichen Verhältnissen wie in Rosarno leben und zu Hungerlöhnen eine Existenz fristen, die sich kaum von der in den Slums von Luanda oder Lagos unterscheidet.

Auch die Mafia hat ihre Hände im Spiel. Doch es sind nicht nur die Clans der 'Ndrangheta und der Camorra, die mit dieser Form von Ausbeutung bestens verdienen. Gerade jetzt, in Zeiten der Wirtschaftskrise, haben es auch ganz normale Bauern und Geschäftsleute leicht zu begründen, warum sie leider keine höheren Löhne zahlen können und auf die illegalen Immigranten angewiesen seien. Die meisten Italiener wissen all das – und schauen achselzuckend weg. Bis zum nächsten Mal, wenn in einem anderen Ort die Verzweiflung explodiert.

AUF EINEN BLICK

Unruhen in Rosarno. Ende letzter Woche kam es in der kalabrischen Kleinstadt Rosarno zu Straßenkämpfen zwischen illegalen Einwanderern aus Afrika, der örtlichen Bevölkerung und Sicherheitskräften. Ausgelöst wurden die Unruhen durch Schüsse auf eine Gruppe von Einwanderern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2010)

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