Retuschierte Realitäten

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Die digitale Bildbearbeitung feiert ihr 30-Jahr-Jubiläum. Zwischen Perfektion und Photoshop-Fails.

Spricht man heutzutage von Filtern, dann denken wohl die wenigsten Unter-40-Jährigen noch an jene, die man zum Aufbrühen von Kaffee braucht. Und das liegt nicht an Kapsel- oder Kaffeevollautomaten, sondern an der Bildbearbeitung, mit der man sich die Welt vor allem auf Social Media mit wenigen Wischern und Klicks weniger realitätsnah, dafür umso perfekter schustert. Den Grundstein für die digitale Retusche legten vor 30 Jahren Thomas Knoll, der eigentlich nur ein Programm zur Graustufenerkennung für seine Doktorarbeit entwickelte, und sein Bruder John Knoll, der bei der Special-Effects-Firma Industrial Light & Magic von Regisseur George Lucas arbeitete. Zwei Jahre später verkauften sie die Anwendung an Adobe. Aus den prognostizierten mäßigen Verkaufszahlen wurde ein Megahit.

Eindimensionale Perfektion ist seitdem kein Problem mehr, Köpfe lassen sich von Körpern trennen, von der Haar- und Augenfarbe erst gar nicht zu reden, unschöne Dellen verschwinden und von Falten scheint man in der Photoshop-Welt noch nicht gehört zu haben. Der Grat zwischen Retusche und Manipulation ist oftmals ein schmaler. Das liegt auch daran, dass die Fotobudgets schrumpfen; im Nachhinein vieles digital zu verbessern ist billiger, als ein Team zu beschäftigen. Was ist noch echt? Diese Frage muss man sich in der überinszenierten und überperfekten Fotowelt stellen und die Bilder kritisch hinterfragen. Seit Oktober müssen französische Modemagazine die retuschierten Fotos mit dem Hinweis „Photographie retouchée“ abdrucken. Das französische Gesundheitsministerium will so vor einem falschen Schönheitsideal warnen.

Digitale Perfektion. Überhaupt hatte Photoshop in den vergangenen Jahren mit Imageproblemen zu kämpfen. Zur #nofilter-Gegenbewegung auf Instagram gibt es auch immer mehr Unternehmen, die wieder auf mehr Natürlichkeit setzen. Das US-Wäschelabel Aerie beispielsweise zeigt diverse Körpertypen ohne Retusche und kann damit wachsende Umsatzzahlen verzeichnen. Und auch die britische Kette Asos verzichtet im Onlineshop darauf, die Dehnungsstreifen der Models in Bikinis und Dessous auszumerzen.

Fast mit diebischer Freude werden hingegen die Photo­shop-Fails internationaler Magazine oder Werbungen unter die Lupe genommen. Selbst bei der Modebibel „Vogue“ fehlte schon einmal ein Ellbogen, Kniescheiben entbehrten gleich zwei Models auf dem Cover des „W-Magazine“ und Nicole Kidman war in einer Werbekampagne für Jimmy Choo nur schwer zu erkennen. So ging es auch Kate Winslet auf dem Cover der „GQ“ 2003. Zehn Zentimeter größer und 20 Kilo leichter wollte die Hollywoodschauspielerin aber nicht sein. „Ich will nicht, dass die Leute denken, ich wäre eine Heuchlerin und hätte plötzlich 15 Kilo abgenommen.“

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