Amazon als Tummelplatz der Steuerbetrüger

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Chinas Händler überschwemmen die großen Onlineplattformen mit Billigangeboten und prellen den Fiskus um die Mehrwertsteuer. Deutschland will nun Amazon und eBay dafür in Haftung nehmen. Österreich hofft auf eine EU-Regelung.

Wien. Die Firma mit dem schönen Namen Huihong lässt Frauenherzen höherschlagen. Ob Lippenstift, Make-up oder modische Taschen – alles unschlagbar billig, bequem bei Amazon zu bestellen und, da schon in Deutschland lagernd, in wenigen Tagen im Haus. Wer auf „Impressum“ klickt, erfährt mehr: Das Unternehmen trage die Geschäftsbezeichnung Duxingbiaoye Youxiangongsi und befinde sich an der Adresse HuikegongyeyuanqidongqisouB702, irgendwo in der Zwölf-Millionen-Stadt Shenzhen. Man wünscht dem heimischen Fiskus viel Glück beim steuerlichen Zugriff.

Denn zugreifen müsste er. Jeder ausländische Versandhändler, der an Konsumenten in Österreich verkauft, hat ab einem Jahresumsatz von 35.000 Euro die heimische Mehrwertsteuer zu verrechnen und abzuliefern. Dazu muss er sich beim Finanzamt Graz-Stadt registrieren, wo er eine Steuernummer bekommt. Die Großen machen das auch, allen voran der weltgrößte Onlinehändler. Aber Amazon liefert nicht nur im eigenen Namen, sondern bietet sich auch Dritten als „Marketplace“ an. Wie schon früher auf eBay können dort Private und Firmen ihre Waren feilbieten. Vor allem asiatische Händler nutzen diese Plattformen immer stärker, um den europäischen Markt mit ihren Billigangeboten zu überschwemmen, vorrangig mit Elektronikartikeln. Derart billig können die Fernostfirmen vor allem deshalb anbieten, weil sie sich in aller Regel nicht in Graz registrieren lassen und keine Mehrwertsteuer verrechnen. Meist schicken sie gar keine Rechnung mit, und wenn doch, ist darauf keine Steuer ausgewiesen. Womit seriösen heimischen Händlern eine stetig wachsende und oft lebensbedrohliche Konkurrenz entsteht: Gegen um ein Fünftel niedrigere Preise sind sie machtlos.

So machtlos wie die Steuerbeamten? Der deutsche Fiskus will sich die unfairen Praktiken nicht mehr länger gefallen lassen. Der Plan des Bundes und der Länderfinanzminister: Da der direkte Zugriff auf asiatische Händler kaum möglich ist, wollen sie ersatzweise die Plattformen in die Pflicht nehmen. Amazon und Co. sollen die bisher nicht gezahlte Steuer also selbst entrichten, im Notfall oder generell, über eine Haftung oder eine Gesamtschuldnerschaft.

Großbritannien als Vorbild

Wogegen sich der Onlineriese natürlich wehrt, mit dem gewohnten Argument, er sei ja nur eine neutrale Plattform. Was nicht ganz stimmt: Gegen Gebühr übernimmt Amazon auch Lagerung, Lieferung, Retourenmanagement und Zahlungsabwicklung. Da wäre es technisch nur noch ein kleiner Schritt, auch die Steuer von den Händlern einzutreiben oder sie direkt von der Rechnung abzuziehen. Juristisch fraglich könnte nur sein, ob Amazon die Befugnis hat, die Steuerangelegenheiten der Händler auf seinem Marktplatz zu überprüfen.

In Großbritannien ist die Übung gelungen und das Schlupfloch geschlossen. Seit Kurzem gilt dort: Wenn der britische Fiskus einen Teilnehmer auf dem Marktplatz entdeckt, der die Umsatzsteuer hinterzieht, kann er Amazon oder eBay dafür in Haftung nehmen. Und siehe da: In wenigen Monaten hat Amazon UK mehr als 400 Händlerkonten gesperrt. An diesem Vorbild orientieren sich die Deutschen und drängen zugleich auf eine europäische Lösung. Sie schätzen, dass ihnen bisher durch diese Betrugsform bis zu einer Milliarde Euro jährlich an Steuereinnahmen entgeht – Tendenz stark steigend.

Auf Österreich umgelegt wären das 100 Mio. Euro pro Jahr. Eine eigene Initiative plane man nicht, heißt es auf „Presse“-Anfrage aus dem Finanzministerium. Aber: „Österreich unterstützt die Bestrebungen, Plattformen zu Steuerschuldnern zu machen.“ Dabei setzt man aber auf eine EU-weite Festlegung. Tatsächlich steht eine Angleichung der Regeln auf der Agenda des nächsten Treffens der EU-Finanzminister, das Anfang Dezember stattfindet. Im besten Fall müssen sich also auch Firmen wie jene mit dem schönen Namen Huihong schon bald mit den steuerlichen Gepflogenheiten in Österreich vertraut machen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.11.2017)

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