Koalitions-Spaltpilz Europapolitik

ÖVP-Chef Kurz und FPÖ-Chef Strache (rechts)
ÖVP-Chef Kurz und FPÖ-Chef Strache (rechts)REUTERS
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Ob Russlandsanktionen, Rechtsstaatlichkeit, Euro, Klimaschutz oder Handelsabkommen: ÖVP und FPÖ sind in der Europapolitik alles andere als kompatibel.

Das Bekenntnis zu Europa, das FPÖ-Vizeparteichef Norbert Hofer vor Beginn der Koalitionsverhandlungen mit ÖVP-Vorsitzenden Sebastian Kurz öffentlich abgab, war letztlich nur ein oberflächliches. Denn programmatisch trennen die traditionell proeuropäische Volkspartei und die seit Jörg Haider auf einem extrem EU-kritischen Kurs umgeschwenkten Freiheitlichen Welten. In der Realpolitik gibt es bei den EU-Russlandsanktionen, den Handelsabkommen, dem Klimaschutz sowie in zahlreichen Detailfragen erhebliche Differenzen.

Allein ein Blick in das „Handbuch freiheitlicher Politik“, an dem Hofer federführend mitgewirkt hat, reicht aus, um die unverblümte EU-Linie der Partei offenzulegen. „Österreichs Zukunft liegt im Schilling“ heißt es da. Auch wenn die FPÖ zuletzt wieder von einem Euro-Austritt abging, ist in diesem erweiterten Parteiprogramm aus dem Jahr 2013 festgeschrieben, dass Österreich zu einer nationalen Währung zurückkehren oder mit anderen Eurostaaten, etwa Deutschland, eine Hartwährungszone bilden sollte. Eine Position, die mit der ÖVP-Linie und ihrem Bekenntnis zur Währungsunion unvereinbar ist. Auch ein EU-Austritt, der für die ÖVP nicht in Frage kommt, ist trotz anderslautender Bekenntnisse für die FPÖ „kein Tabu“ (Seite 278, Handbuch freiheitlicher Politik).

ÖVP für, FPÖ gegen Freihandel

Neben den programmatischen Differenzen haben ÖVP und FPÖ in den vergangenen Jahren auch in der Praxis eine gänzlich unterschiedliche Europapolitik betrieben. So bekannte sich die ÖVP zu Freihandelsabkommen wie jenem der EU mit Kanada (Ceta), die FPÖ trat hingegen entschieden dagegen auf und fordert weiterhin eine Volksabstimmung. Eine gemeinsame Linie bei der Ratifizierung des noch nicht umgesetzten Teils des Abkommens im Nationalrat durch beide Regierungsparteien scheint also unmöglich.

Ähnlich kontrovers sind die Linien zu den Russlandsanktionen der EU wegen der völkerrechtswidrigen Annektierung der Krim. Die FPÖ entsandte mit Hans-Jörg Jenewein und Detlef Wimmer Anfang November eine Delegation in die Krim und wiederholte ihre Forderung nach einem Aus für die bisher von Österreich mitgetragenen EU-Sanktionen. Kurz hält hingegen daran fest, dass Österreich die in der EU gemeinsam beschlossenen Sanktionen mittragen muss.

Im Europaparlament wäre es kaum vorstellbar, dass ÖVP und FPÖ nach einer Koalitionsvereinbarung weiterhin völlig gegenteilig abstimmen. Aber auch hier ist eine riesige Kluft zu überwinden. Die ÖVP beteiligt sich an einem Boykott der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) gegen alle Anträge der rechtsnationalen Fraktion Europa der Nationen und der Freiheit (ENF), der neben der FPÖ auch der Front National angehört.

Umgekehrt haben die FPÖ-Abgeordneten in zahlreichen Abstimmungen bisher konträr zu den ÖVP-Kollegen gestimmt – über mehr Steuertransparenz für internationale Konzerne bis hin zur Einführung einer EU-Staatsanwaltschaft. Im Juni dieses Jahres stimmten drei der vier FPÖ-Abgeordneten gegen eine weitere CO2-Senkung, lediglich Barbara Kappel enthielt sich. Die ÖVP-Abgeordneten votierten hingegen geschlossen für die neuen Grenzwerte, die zur Erfüllung des EU-Klimaziels notwendig sind.

Das Beispiel Klimaschutz illustriert, wie die FPÖ gegen eine konstruktive EU-Politik vorgeht. Sie stellte sich in den vergangenen Jahren gegen zahlreiche EU-Entscheidungen, die auf eine gemeinsame Lösung von Problemen ausgerichtet sind – ungeachtet, ob dies ihrer eigenen Position entsprach. Als beispielsweise im Juli 2016 wegen der Migrationskrise im Europaparlament über eine Ausweitung der Kompetenzen für die EU-Grenzschutzagentur Frontex abgestimmt wurde, enthielten sich die FPÖ-Abgeordneten der Stimme. Ein verbesserter Außengrenzschutz ist aber eine der Hauptforderungen der ÖVP. Alle ÖVP-Europaabgeordneten stimmten denn auch für die stärkere rechtliche Basis von Frontex.

Unterschiedliches Werteverständnis

Unterschiedlich ist aber auch das Werteverständnis. Als sich zuletzt ÖVP-Europaabgeordnete für ein EU-Verfahren gegen die polnische Regierung wegen der Unterwanderung des Rechtsstaats aussprachen, nahmen die FPÖ-Vertreter eine gegenteilige Position ein. FPÖ-Abgeordneter Georg Mayer sagte, die Freiheitlichen könnten die Entschließung gegen Polen nicht mittragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2017)

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