Literatur

Thriller: „Weniger Theorie, echte Terroristen“

Überzeugende Figuren sind seine Stärke: der deutsche Journalist und Autor Yassin Musharbash.
Überzeugende Figuren sind seine Stärke: der deutsche Journalist und Autor Yassin Musharbash. (c) imago stock&people (imago stock&people)
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Ein deutscher Konvertit beim Islamischen Staat: Was genau macht er dort – und warum will er zurück? Yassin Musharbash hat mit „Jenseits“ einen hochaktuellen Thriller geschrieben.

Im Taxi ist alles passiert, nur so viel ist sicher. Wie und warum genau, das ist schon schwieriger zu rekonstruieren. Was es die behagliche Tonlage des Taxifahrers? Die drei, vier Sätze, die er sagte, die eigentlich wenig Sinn ergaben, aber so gut klangen? Oder lag an es Gent Sassenthin selbst, der betrunken im Taxi saß, vollgepumpt mit Drogen, deprimiert, fast schon hoffnungslos? Die Sätze des Taxifahrers ließen Gent nicht los, spendeten vielleicht sogar Trost, denn er machte den Fahrer Tage später ausfindig, ging in die Moschee und wollte mehr wissen, über diese Sätze, über den Islam. So schildert es jedenfalls der Taxifahrer, Abu Karim. Und Gent? Ihn kann man über seinen Weg zum Islam nicht mehr befragen, denn er ist beim sogenannten Islamischen Staat, im syrischen Raqqa, und er scheint aus Überzeugung an den Gräueltaten des IS mitzuwirken.

Wie kam Gent nach Syrien? Überhaupt: Wie konnte sich der unauffällige junge Mann aus Ostdeutschland derart radikalisieren? „Wir sind in der DDR aufgewachsen“, sagt sein Vater, Karl Sassenthin, dem Mitarbeiter einer Beratungsstelle. „Wir hatten nie was mit Gott am Hut. Wir haben unsere Kinder erzogen, dass sie gute Menschen sind, nicht mehr, nicht weniger.“ Was für die Eltern unerklärlich ist, ist für den Berater und Sozialarbeiter Titus Brandt schon so etwas wie Routine. Er kennt die Burschen, sah, „wie die Basecaps verschwanden, die Hoodies durch lange Gewänder ersetzt wurden, das ständige Grinsen einer undurchdringlichen Ernsthaftigkeit wich. Und wie, wenn man genau hinhörte, sogar das Ghetto-Nuscheln nachließ und die Aussprache deutlicher wurde, ein besonders grotesker Nebeneffekt der neu erworbenen Selbstdisziplin und Entschlossenheit.“

Ein Attentäter? Gents Radikalisierung passt in ein gewisses Muster, sofern es dafür ein Muster geben kann. Aber da ist noch etwas: Gent will zurück nach Deutschland, und das ruft den Verfassungsschutz auf den Plan, diverse Ermittler und natürlich die Journalisten. Ist Gent ein möglicher Attentäter? Rund um die Figur Gent spinnt der deutsche „Zeit“-Journalist Yassin Musharbash in „Jenseits“ einen düsteren und durchaus realistischen Thriller. Mit feinen Strichen zeichnet Musharbashdie Möglichkeit einer Radikalisierung nach, wiewohl die Figur des Gent undurchdringlich bleibt, aber das dürfte Absicht sein. Kann man jemanden denn wirklich vollständig verstehen, der sich einer auf Unmenschlichkeit basierenden Ideologie derart unterwirft?

Gent kommt an diesem fatalen Punkt an, aber er kommt mit einer durch und durch menschlichen Geschichte, jener des Scheiterns, der Trauer, der Verletzlichkeit. „Er war wütend, als ich ihn kennenlernte“, sagt der Taxifahrer Abu Karim später über Gent, „und er blieb wütend.“ In seiner Erzählung ist Musharbash aber nicht auf der Suche nach Sympathien für einen Gescheiterten, der zum Extremisten wurde. Hier erkennt man den Journalisten im Autor: Es ist die Beobachtung, nicht die Wertung, aus der nahen, aber sicheren Distanz.

Musharbash ist ein guter Erzähler, routiniert, vielleicht eine Spur zu brav, auch wenn er durchaus an den richtigen Stellen Spannung erzeugt. Seine Figuren überzeugen – neben Gent ist es der Ermittler Sami, ein Deutscher mit Wurzeln im Libanon, ein Mensch mit innerer Wut und auf der Suche nach dem Grund für seine immerwährende Unruhe.

Als Islamismus-Experte ist Musharbash in der Thematik jedenfalls bewandert – „Jenseits“ ist sein zweiter Roman nach „Radikal“, der im Extremistenmilieu spielt. Das deutsche Feuilleton sieht in Musharbash einen Erzähler im Stil John Le Carrés, tatsächlich hat er für den britischen Thrillermeister schon als Rechercheur gearbeitet. „Jenseits“ ist dort stark, wo die Spuren, die Gent in Deutschland hinterlassen hat, zusammenkommen: Musharbash wagt sowohl einen Blick in Gents Kinderzimmer als auch in das „Gemeinsame Terrorabwehrzentrum“, die Koordinierungsstelle deutscher Sicherheitsbehörden. Und dort gibt es, wie Musharbash schreibt: „Weniger Theorie, dafür echte Terroristen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.11.2017)

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