Nicola Werdenigg hat recht. Es geht um mehr als nur „#MeToo“.
Nicola Werdenigg hat mit ihrer Lebensgeschichte, in der sie sexuellen Machtmissbrauch im Skisport in den 1970er-Jahren anprangerte, ihren wohl größten Sieg errungen. Denn offen auszusprechen, was passiert ist, verlangt Mut und Courage. Ihr ging es aber nicht darum, Verbände jetzt anzuschwärzen, Tabuthemen zu brechen oder Sensibilisierung und Prävention zu bewirken. Sie wollte eine offene Diskussion zu dieser Problematik starten.
Die „#MeToo“-Kampagne hat nach Film, Wirtschaft und Politik dank Werdenigg auch den österreichischen Sport erreicht. Die ehemalige Skifahrerin sieht Stellung und Selbstbild von Frauen in der modernen Gesellschaft gewandelt. Übergriffe wie die von einst seien in der Gegenwart undenkbar. Längst gibt es bei großen Verbänden, auch dem ÖSV, dazu eigene Konsulentinnen. Sie sind Anlaufstellen, Seelsorge – und im Bedarfsfall erstatten sie die Anzeige.
Was aber, wenn ein Klubchef Taten nicht sieht, sehen will oder klare Botschaften nicht versteht? Der eigentliche Anlass, warum Werdenigg vier Jahrzehnte danach ihr Schweigen brach, ist ein schwerwiegender Fall aus sehr naher Vergangenheit.
Wegen des Vorwurfs jahrelangen sexuellen Missbrauchs minderjähriger Mädchen bei einem Volleyballverein sitzt ein Trainer seit Mai 2017 in Untersuchungshaft. Obwohl es bereits aufgrund von zig Vorfällen ein Schulverbot sowie direkte Hinweise erboster Eltern gegeben haben soll, wurde die Vertrauensperson vom Klubchef weder freigestellt noch umgehend angezeigt. Warum nicht? Ähnlich liegt der Fall eines Judo-Trainers: Erst nach Anzeige und Anklage wollte man es aus seinem Umfeld „eh schon immer gewusst“ haben.
Das ist die Diskussion: Über eigene Erlebnisse nicht sprechen zu können, obwohl professionelle Hilfe nötig wäre, ist hart genug. Aber zu schweigen und andere (Kinder) damit in Gefahr zu bringen ist einfach nur abscheulich.
E-Mails: markku.datler@diepresse.com
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.11.2017)