Direkte Demokratie hebt Polit-Establishment nicht aus Angeln

Symbolbild: Österreicher
Symbolbild: ÖsterreicherAPA/GEORG HOCHMUTH
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Der deutsche Politologe Eike-Christian Hornig hat neun westeuropäische Staaten untersucht. Sein Fazit: Bürger stimmen kaum anders ab als von den Parteien empfohlen.

Die geplante Aufwertung der direkten Demokratie wird das parlamentarische System in Österreich nicht aus den Angeln heben. Internationale Erfahrungen zeigen nämlich, dass die Bürger kaum anders abstimmen als von den Parteien empfohlen. Der deutsche Politologe Eike-Christian Hornig, der neun westeuropäische Staaten untersucht hat, spricht sogar von einer "Parteiendominanz der direkten Demokratie".

Hornig hat die Ergebnisse von 200 Volksabstimmungen in Bezug gesetzt zur Wählerstärke der Parteien und ihren Abstimmungsempfehlungen. Demnach gingen die Volksabstimmungen zu 84 Prozent so aus, wie es die Stimmenanteile der Parteien bei den vorgangenen Wahlen hatten erwarten lassen. "Weniger als ein Fünftel der Wähler" stimmt also bei Referenden anders ab als von "ihrer" Partei empfohlen. Besonders "parteitreu" sind die Stimmbürger ausgerechnet in jenem Staat, der die höchste Referendumsfrequenz hat: In der Schweiz beträgt der Unterschied zwischen Wahl- und Referendumsergebnissen nur rund zehn Prozent.

Wenn sich die politische Elite geschlossen hinter einen Vorschlag stellt, fällt dieser an der Wahlurne kaum durch. In Irland, wo alle Verfassungsänderungen einem Referendum unterzogen werden müssen, ist noch keine einmütig unterstützte Vorlage gescheitert. So wurde das erzkatholische Irland im Jahr 2015 zum ersten Land der Welt, das in einem Referendum für die Legalisierung der Homo-Ehe votierte.

Je länger im Amt, desto eher verliert Regierung die Volksabstimmung

Freilich zeigt die irische Praxis auch, wann Volksabstimmungen aus Sicht der Parteien "schief gehen" können. Unerwartete Referendumsergebnisse gibt es vor allem dann, wenn die Parteien bei einem Thema intern zerrissen sind. Das ist bei vielen EU-Referenden der Fall: In Irland wurden die Verträge von Nizza und Lissabon jeweils erst im zweiten Anlauf angenommen. Gut belegt ist mittlerweile auch die Amtszeit-These: Je länger eine Regierung im Amt ist, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Volksabstimmung verliert.

Oppositionsparteien können sich aber nur bedingt die Hände reiben: Zwar gelingt es ihnen regelmäßig, ihre Anhänger besser zu mobilisieren als die Regierungsparteien. Doch folgen Referendumserfolgen nicht selten Dämpfer bei Parlamentswahlen, weil mit dem Referendum oft auch der Wahlkampfschlager flöten geht. International viel beachtetes Beispiel ist die Zwentendorf-Volksabstimmung im Jahr 1978: Auf eine peinliche Niederlage für Bundeskanzler Bruno Kreisky folgte ein triumphaler Sieg seiner regierenden SPÖ bei der Nationalratswahl wenige Monate später. In Slowenien brachte die konservative Opposition zwei Mal die Regierung per Volksabstimmung zu Fall - nur um dann bei der Parlamentswahl wieder den Kürzeren zu ziehen.

Schweizer Erfahrungen auf Österreich übertragbar?

Skeptiker der direkten Demokratie weisen oft darauf hin, dass sich die Erfahrungen der Schweiz nicht auf Österreich übertragen lassen. Zurecht. Die Eidgenossenschaft hat ein sehr spezifisches politisches System mit einem gleichberechtigten Zwei-Kammern-Parlament, einer Konzentrationsregierung und starken Regionen. Doch geht auch das direktdemokratische Repertoire der Schweiz weit über das hinaus, was derzeit in Österreich erwogen wird. Verfassungsänderungen nur per Volksabstimmung, Volksbegehren mit 100.000 Stimmen und ein Veto-Referendum über praktisch jedes Gesetz mit lediglich 50.000 Stimmen. Dafür sind von der Regierung angesetzte Volksabstimmungen in der Schweiz ein Tabu.

ÖVP und FPÖ planen dagegen "nur" eine Aufwertung der Volksbegehren, die bei fehlender Umsetzung und entsprechender Unterschriftenzahl eine Volksabstimmung zur Folge haben sollen. Ähnliche Systeme gibt es in mehreren EU-Staaten, allen voran Italien. Dort können 500.000 Stimmbürger ein Gesetzesreferendum erzwingen. Mit über 70 Volksabstimmungen in den vergangenen fünf Jahrzehnten ist der Stiefelstaat EU-Spitzenreiter.

In Slowenien können 40.000 Stimmbürger ein Gesetz per Referendum zu Fall bringen, in Dänemark ein Drittel der Parlamentsabgeordneten. Verbindliche Volksbegehren gibt es in der Slowakei (350.000 Stimmbürger), Ungarn (200.000 Stimmbürger), Malta (zehn Prozent der Stimmberechtigten), Lettland (zehn Prozent der Stimmberechtigten), Litauen (300.000 Stimmbürger) und Bulgarien (400.000 Stimmbürger).

Gemeinsam ist all diesen Staaten, dass sie teilweise hohe Beteiligungsquoren vorsehen, die für Oppositionsparteien oft nicht zu erfüllen sind. In der Slowakei sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten 17 von 18 Referenden an der Mindestbeteiligung von 50 Prozent gescheitert. Die einzige Ausnahme war das EU-Beitrittsreferendum im Jahr 2003. Auch in Italien nahm seit Ende der 1990er Jahre fast kein Referendum mehr die Quorumshürde.

Was Frankreich, Polen und Rumänien gemeinsam haben

Neben diesen Staaten mit oppositionellen Volksrechten gibt es noch weitere, in denen die Initiierung von Volksabstimmungen (teilweise) der jeweiligen Regierung entzogen ist. In Frankreich, Polen und Rumänien können die jeweiligen Präsidenten Volksabstimmungen ansetzen, in Dänemark und Irland gibt es verpflichtende Verfassungsreferenden. In fast allen restlichen Staaten kann das Parlament Volksabstimmungen ansetzen. Nur Belgien, Deutschland, Tschechien und Zypern kennen diese Möglichkeit (formell) nicht.

Die europäische Praxis zeigt dabei vor allem eines: Sieht man von verpflichten Volksabstimmungen und "Präsidialreferenden" ab, sind praktisch überall die politischen Parteien die treibende Kraft hinter Volksabstimmungen. Regierungsparteien setzen sie meist an, um heikle Themen dem Wähler weiterzureichen.

In den postkommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas trugen mit Wählerunterschriften initiierte Referenden zur Festigung der ursprünglich schwachen Parteien bei. Die nationalkonservative Fidesz des ungarischen Premiers Viktor Orban oder die slowakische Smer (Richtung) von Ministerpräsident Robert Fico haben ihren Aufstieg auch erfolgreichen direktdemokratischen Initiativen zu verdanken.

Von zivilgesellschaftlichen Bewegungen eingeleitete Referenden muss man hingegen quer über den Kontinent mit der Lupe suchen, was sich auch in den Themen widerspiegelt: Umweltthemen kommen nur selten vor, Wirtschaft und Soziales schon etwas öfter - aber die meisten Referenden zwischen Portugal und Finnland sind der Regelung des politischen Systems gewidmet: Von der Verfassung über das Wahlsystem bis zur Dienstautopreisdeckelung.

(Stefan Vospernik/APA)

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