Leitartikel

Volkes Stimme für zwischendurch

Wahlkabine
Wahlkabine(c) Clemens Fabry
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An dieser Frage scheiden sich die Geister: Führt mehr direkte Demokratie zu einem System des „starken Mannes“, oder bewahrt sie uns vielmehr davor?

Er gilt noch heute als der Inbegriff eines Alleinherrschers, der seinen Willen seinem Land und halb Europa aufgedrängt hat – kompromisslos und, wenn nötig, brutal. Dabei war Napoleon Bonaparte einer der Wegbereiter des Plebiszits in der Neuzeit. Teile (mit dem Volk) und herrsche gewissermaßen. Sogar seine Ernennung zum Konsul auf Lebenszeit und später dann zum Kaiser hat er sich in Volksabstimmungen absegnen lassen. Inwieweit der Druck der Staatsmacht oder nur die Begeisterung für den neuen Herrscher dann zu den für Napoleon formidablen Ergebnissen geführt haben, sei jetzt einmal dahingestellt.

Ein Teufel wie dieser wird gern an die Wand gemalt, wenn heute von direkter Demokratie die Rede ist. Diese, so heißt es dann, berge die Gefahr, zu einer illiberalen Demokratie zu verkommen, in der ein Autokrat mittels plebiszitärer Elemente das Volk ruhigstellen und somit ungehindert herrschen könne. Als Westentaschen-Napoleon sozusagen, um eine Jörg-Haider-Bemerkung aufzunehmen.

Man kann die Sache aber auch vergleichsweise nüchterner betrachten – ohne die heute übliche Aufgeregtheit bei allem und jedem. Zwei überregionale Volksabstimmungen hat es bisher in Österreich gegeben. Die eine führte zur Schließung des Atomkraftwerks in Zwentendorf, die andere zum EU-Beitritt Österreichs. Zwei Entscheidungen, die heute von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung wohl als richtig erachtet werden. Man könnte also sagen: Das Volk hat zweimal klug entschieden.

Mit dem Nebeneffekt noch dazu, dass sich dieses Volk in seiner Gesamtheit vorher und nachher nie mehr so intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt hat wie zur Zeit der Volksabstimmung. Diese sorgt also auch für politische Bildung. Nie war das Wissen über das Wesen der Europäischen Union größer als 1994. Ähnliches gilt auch für das Thema Landesverteidigung zur Zeit der Wehrpflicht-Volksbefragung des Jahres 2013.

Die direkte Demokratie ist jedenfalls die stärkere Form der demokratischen Willensbekundung als die rein repräsentative. Das kann man nun ein wenig unheimlich finden oder eben demokratisch. Die Schweiz hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht.

Nun – berechtigter Einwand – sind wir aber nicht die Schweiz, in der das System der direkten Demokratie historisch gewachsen ist. Also kommt es auf die Ausgestaltung an. Derzeit in Diskussion: ein Modell, das ab einer bestimmten Anzahl an Volksbegehrensunterschriften zwingend zu einer Volksabstimmung führt. Der FPÖ schweben vier Prozent der Wahlberechtigten vor, der ÖVP zehn Prozent. Die Initiative Österreich entscheidet setzt gar bei drei Prozent (mit allerlei Abfederungen) an.

Deren Begründung ist genau das Gegenteil gängiger Befürchtungen: Wenn man nicht mit einem starken Mann an der Spitze aufwachen wolle, müsse man die direkte Bürgerbeteiligung aufwerten, um die Menschen stärker an die Demokratie zu binden.

Die Kehrseite der Medaille wäre allerdings Dauerwahlkampf. Vor allem für Oppositionsparteien eine ständige Verlockung. So scheint jedenfalls auch die künftige Regierungspartei ÖVP mittlerweile etwas leiserzutreten. Denn von Volksbegehren, die zu Volksabstimmungen führen, könnte in der kommenden Legislaturperiode vor allem die SPÖ profitieren. Die Organisation eines wie dann auch immer konkret ausgestalteten „Gegen Sozialabbau“-Begehrens dürfte ihr nicht schwerfallen.

Die Austria Presse Agentur lieferte gestern eine Übersicht über die bisherigen Referenden in den EU-Staaten seit 1945: Während Italien (73-mal) und Irland (38-mal) Spitzenreiter sind, hat in Deutschland noch nie eine Volksabstimmung stattgefunden. Einige Stunden später kam dann die Meldung, dass Martin Schulz die SPD-Mitglieder über eine Beteiligung ihrer Partei an Regierungsverhandlungen befragen wolle. Das ist nun zwar keine Volksabstimmung, aber ein Schritt in die Richtung: Wenn ich nicht mehr weiterweiß, frag ich meinen Wählerkreis. Und das kann man – zwischendurch – durchaus einmal machen.

E-Mails an: oliver.pink@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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