Schulz wankt auf Merkel zu

SPD-Chef Martin Schulz kündigt am Freitag für den Fall einer möglichen Regierungsbeteiligung eine Mitgliederabstimmung an.
SPD-Chef Martin Schulz kündigt am Freitag für den Fall einer möglichen Regierungsbeteiligung eine Mitgliederabstimmung an.APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Die Sozialdemokraten beginnen, ihre Mitglieder behutsam auf eine mögliche 180-Grad-Wende vorzubereiten: eine Große Koalition. Aber sicher ist in diesen Tagen nichts.

Berlin. Bis tief in die Nacht hinein berät die SPD-Spitze. Der um eine Regierungsbildung bemühte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat die Genossen zuvor zu Gesprächen mit der Union aufgefordert. Man ist in der Zwickmühle. Irgendwann gibt es drinnen im Willy-Brandt-Haus Pizza. Und draußen Gerüchte. Wurde Parteichef Martin Schulz intern zum Rücktritt aufgefordert? „Alles Käse“, sagt SPD-Vorstandsmitglied Heiko Maas. Am nächsten Tag tritt Schulz vor die Presse. Die Miene ist ernst, der Tonfall staatstragend. „Deutschland ist in einer komplizierten Lage“, sagt Schulz (was man auch über seine SPD behaupten kann).

In den vergangenen Tagen hätten ihn „viele besorgte Anrufe unserer europäischen Freunde erreicht“, so Schulz. Er habe allen versichert, dass sich die SPD ihrer Verantwortung bewusst sei – „vor allem auch für Europa“. Es ist die Ouvertüre für den Schwenk, der ein paar Sätze später folgt, als Schulz ankündigt, der Einladung des Bundespräsidenten zu Gesprächen mit anderen Parteichefs „selbstverständlich“ zu folgen.
Kein Wort mehr über das kategorische Nein zu einer Großen Koalition (GroKo), das Schulz noch am am Montag an selber Stelle, im Willy-Brandt-Haus, formuliert hat. Selbst Gegner der GroKo sollen damals den Kopf geschüttelt haben über das taktische Ungeschick des Parteichefs. Die SPD stand als Gesprächsverweigerer da, die den Bundespräsidenten brüskiert, der noch am selben Tag klarmachte, vor Neuwahlen alle anderen Optionen ausloten zu wollen.

Seither sucht die Parteispitze einen Notausgang – und meint, ihn nun gefunden zu haben: „Falls die Gespräche dazu führen, dass wir uns in welcher Form und welcher Konstellation auch immer an einer Regierungsbildung beteiligen, werden die Mitglieder unserer Partei darüber abstimmen“, sagt Schulz. Die Basis soll entscheiden. Wie 2013.

Der Druck auf Schulz war zuletzt gestiegen. Intern wie extern. Alte SPD-Argumente gegen die Große Koalition waren kaum noch zu hören, darunter jenes, dass die rechte AfD dann die stärkste Oppositionsfraktion wäre und den Usancen nach den Vorsitz des mächtigen Haushaltsausschusses bekäme. In der öffentlichen Debatte ging auch unter, dass die Deutschen Umfragen zufolge eine Neuwahl und nicht die GroKo präferieren, Zugleich wurde Deutschland zur Gerüchteküche – in Berlin, aber auch in München, wo voreilig das Ende von Horst Seehofer als Ministerpräsident vermeldet wurde. Stattdessen werden sich Schulz und Seehofer am Donnerstag im Schloss Bellevue treffen. Auch Kanzlerin Angela Merkel wird da sein. Und Gastgeber Frank-Walter Steinmeier. Dann ist nichts mehr ausgeschlossen.

GroKo-Frage spaltet SPD

So war das nicht geplant. Am Wahlabend hatte Schulz den Gang in die Opposition angekündigt. Es gab Beifall, Gejohle. Der ansonsten glücklos agierende Parteichef schien diesmal die Stimmung in der SPD zu treffen: Nur nicht noch einmal in einer Koalition mit Merkel zerrieben werden! Doch dann platzten die Jamaika-Verhandlungen. In der SPD-Fraktion geht seither die Angst vor Neuwahlen um. Es gibt weder einen aussichtsreichen Spitzenkandidaten, noch eine Machtoption oder eine inhaltliche Linie. Manch Abgeordneter fürchtet bereits um sein soeben gewonnenes Mandat. Prinzipielle GroKo-Befürworter raten, die Zwangslage der Union auszunutzen und sich einen Regierungseintritt teuer abkaufen zu lassen – vom 12-Euro-Mindestlohn bis zur Bürgerversicherung. Auch Emmanuel Macrons Eurozonen-Pläne hätten plötzlich bessere Chancen.

Die SPD ist in der Koalitionsfrage tief gespalten. Die Jusos lehnten die GroKo gestern lautstark ab. „Koalition gut, SPD tot, das geht nicht“, findet auch Fraktionsvize Axel Schäfer. Die Basis sieht das mehrheitlich genauso. Sie ist das Machtzentrum von Schulz und soll ihn am 7. Dezember für zwei Jahre als Parteichef bestätigen. Bis dahin muss Schulz versuchen, die Mitglieder behutsam „mitzunehmen“, wie es heißt – auf welchen Kurs auch immer. „Es gibt keinen Automatismus in irgendeine Richtung“, sagt Schulz. Diesmal darf man ihn wohl beim Wort nehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.11.2017)

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