Saskia Jungnikl: Versöhnt mit dem Tod

„Es ist ja auch beim gemeinsamen Trauern nicht so, dass man ständig weint.“ Saskia Jungnikl, Autorin zweier Bücher über das Sterben, über letzte und vorletzte Dinge und ein Glas Wein zum Abschied. Ein Gespräch.

Dass leben lernen auch sterben lernen bedeutet, haben Philosophen und Literaten von Sokrates bis Rocko Schamoni in zitierbare Sätze gegossen. Die Journalistin und Autorin Saskia Jungnikl kennt viele dieser Texte. Von stoischer Ruhe angesichts des Todes ist sie allerdings weit entfernt, als sie 2014 das Buch „Papa hat sich erschossen“ veröffentlicht. Es beginnt mit der Feststellung, dass der Suizid des Vaters „das Banale in eine Hölle verwandelt“, und endet mit einem scheinbar banalen Glücksmoment, in dem die Autorin erkennt, dass sie ihren inneren Frieden wiedergefunden hat. Doch nach der Trauer kommt die Angst. Nächtliche Panikattacken und immer wieder aufflammende Todesangst zwingen Jungnikl, sich weiterhin mit dem Sterben auseinanderzusetzen. Sie besucht Friedhöfe, Leichenschauhäuser und Bodyfarmen, führt Gespräche mit Bestattern, Medizinern, Therapeuten und Trendforschern. Ergebnis: das Buch „Eine Reise ins Leben oder Wie ich lernte, die Angst vor dem Tod zu überwinden“.


Saskia Jungnikl, am Beginn Ihres neuen Buches ist der Tod für Sie „ein schlechter Scherz“ und sogar ein „Affront“, der dem Leben seinen Sinn raubt. Sie zitieren aber auch den Roman „Nachtzug nach Lissabon“ mit dem Satz: „Es ist der Tod, der dem Augenblick seine Schönheit gibt und seinen Schrecken.“ Raubt oder verleiht der Tod dem Leben seinen Sinn?

Zu Beginn stand für mich die völlige Sinnlosigkeit des Todes, das hat sich geändert. Ich glaube heute schon, dass das Bewusstsein um den Tod im Leben helfen kann und einen das Leben anders wertschätzen lässt. Es ist andererseits nicht gut, ständig über den Tod nachzudenken oder ihn zu dominant werden zu lassen.

Inwieweit hat sich durch die langjährige Beschäftigung mit dem Tod Ihr tagtägliches Leben verändert?

Anfangs stand für mich das Belastende des Todes im Vordergrund, jetzt sehe ich es anders: dass der Tod nämlich auch entlastet. Was soll schon schiefgehen, wenn der Tod sowieso am Ende steht? Ich habe also weniger Angst, auch vor Risiken. Und im Gegensatz zu früher sitze ich heute öfter einfach da und tue nichts. Aus dem Bewusstsein heraus, dass das meine Zeit ist, dass ich jetzt da bin und das auch spüren will. Ich verbringe mehr und bessere Zeit mit Freunden.

Das Nachdenken über die Sterblichkeit beschäftigt seit Jahrtausenden die Philosophie und die Kunst. Sie stellen aber fest, dass sehr viele Menschen unter nicht aufgearbeiteten Todesfällen leiden. Warum fällt uns der Umgang mit dem Tod so schwer?

Das ist wirklich erstaunlich, das habe ich mir auch bei mir selbst gedacht. Es ist ja nicht der Stein der Weisen, darauf zu kommen, dass man sich durch das Akzeptieren des Todes ein lebenswerteres Leben schaffen kann. Es ist aber etwas ganz anderes, das aktiv umzusetzen. Ich glaube, dass viele Leute das Gefühl haben, sie müssen das große Ganze ändern, aber das stimmt nicht. Es reicht oft aus, Kleinigkeiten zu verschieben. Es ist wichtig, darüber nachzudenken, denn am Ende des Lebens bereuen die meisten Menschen ja das, was sie nicht gemacht haben.

Die meisten bereuen, sich zu wenig Zeit für Familie und Freunde genommen zu haben.

Ein Sterbebegleiter hat einmal gesagt, er hat noch nie von einem Menschen auf dem Totenbett gehört: „Ich wünschte, ich hätte mehr gearbeitet.“ Man muss sich manchmal daran erinnern, dass das Leben kostbar ist. Wir sind ja nicht in so ein extremes Zeitkorsett gepresst, dass wir gar nichts mehr entscheiden können. Niemand wird mir am Ende des Lebens einen Preis dafür geben, wenn ich brav durchgehalten habe. Der Preis ist das Leben, das man gehabt hat.

Gleichzeitig schreiben Sie auch von einem Druck auf unsere Lebensentwürfe, der vom Bedeutungsverlust der Religionen herrührt: Alles muss in diesem Leben passieren, danach kommt nichts mehr.

Es kann schon Druck erzeugen, wenn man sagt, man muss alles hier erledigen. Ich finde es gut, sich dessen gewahr zu sein, dass die Zeit beschränkt ist, und dass man sie nützen sollte. Dabei ist die Frage aber auch: Was heißt „die Zeit nützen“? Das kann auch bedeuten, das Leben nicht vollzustopfen, sondern sich zu fragen: Was will ich überhaupt?

Trauer wird nach einiger Zeit als Depression eingestuft, also als Krankheit, gegen die man Medikamente nehmen kann. Was sagt das über die Gesellschaft aus?

Ich halte das für schädlich, weil es auf unsere Kosten geht. Der Druck, mit einem Todesfall in ein paar Tagen fertig zu werden, nimmt uns die Möglichkeit, darüber zu reden. Bei uns stirbt jemand, ist nach ein paar Tagen unter der Erde, und alle tun so, als wäre wieder alles wie vorher. Es geht mir nicht darum, jeden Tag über den Tod zu reden, sondern darum, dass man darüber reden darf oder kann, ohne deswegen als depressiv zu gelten. Man soll über den Tod als etwas reden, was zum Leben dazugehört.

Wie wichtig sind Rituale für die Bewältigung von Trauer und Todesangst?

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.