Leitartikel

Eins, zwei, drei, vier, fünf: Was Ziffernnoten (nicht) können

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Noten sind nicht so aussagekräftig, wie manche meinen. Wichtiger als Ziffern ist jedenfalls, was in der Klasse passiert. Und dass es dafür das nötige Geld gibt.

Dass die Ziffern von eins bis fünf jetzt wieder an allen Schulen verwendet werden sollen, hat Symbolwert: Die Noten sind die paradigmatische Abgrenzung zur bisherigen Bildungspolitik. Zudem ist das Zeugnis, dieser Zettel Papier, eines der greifbarsten bildungspolitischen Elemente in der Schulpolitik – für Eltern und Lehrer wie für Schüler. Und die Frage nach eins, zwei, drei, vier und fünf oder „Lukas ist ein guter Leser, tut sich bei der Rechtschreibung aber schwer“ verkörpert einen altbekannten und mitunter auch lustvoll geführten Streit: Wohlfühlpädagogik versus Leistungsorientierung.

Ob unbedingt Sechsjährige die Leistungsorientierung schon in Form von Ziffernnoten spüren müssen, darüber gibt es Zweifel: Nicht umsonst haben viele Volksschulen – inzwischen autonom, in Abstimmung zwischen Eltern und Lehrern – die Zahlen eins bis fünf in den ersten Jahren aus dem Zeugnis gestrichen. Es gibt immerhin in der gesamten Schulkarriere wohl kaum einen Zeitpunkt, zu dem Kinder noch so lernbegierig sind, wie am Anfang. Meistens auch ganz ohne äußeren Druck – und auch ohne zwingende äußere Motivation, wie dem Einser im Zeugnis.

Wenn sie gut umgesetzt ist, hat eine verbale Leistungsbeurteilung das Potenzial, das Richtige zu tun: Detaillierte Rückmeldung darüber zu geben, wo es hakt und was gelingt. Und besser als jede Ziffer ein Wegweiser zu sein. Tückisch ist, dass sich bisweilen Standardfloskeln einschleichen. Ein beliebtes Gegenargument: Dass schwammige oder beschönigende Formulierungen verschleiern könnten, wie es um die Leistung eines Schülers nun wirklich steht. Und dass dann, in der vierten Klasse, wenn die Ziffern für die Frage, ob es mit dem Gymnasium hinhaut, notwendig sind, das böse Erwachen kommt.


Da dann doch lieber zumindest zusätzlich von Anfang an Noten, mag mancher sich jetzt denken: Die Gefahr, dass die – autonom weiter mögliche verbale Beurteilung – zu einer reinen Übersetzung der Ziffern verkommt, ist dann allerdings noch größer als jetzt schon. Dass Lehrerinnen und Lehrer sich über doppelte Zensuren (und doppelten Aufwand) nicht freuen dürften, davon kann man ausgehen. Und: So aussagekräftig, wie manche meinen, sind Ziffernnoten ohnedies nicht. Dass (in Deutschland) die Kevins, Justins und Marvins bei gleicher Leistung schlechter benotet werden als Buben mit mehr versprechenden Vornamen wie Jakob, Lukas oder Alexander, ist vielleicht die plakativste Aussage. Fakt ist: Benotung ist eine heikle Sache. Auch heimische Forscher zeigen, dass Volksschüler, die in Deutsch ein Sehr gut haben, teils vollkommen unterschiedliche Deutschleistungen erbringen. Und das, während die Noten für die weitere Bildungskarriere eine gewaltige Rolle spielen.

Angesichts von Druck und Fehleranfälligkeit ist das Vorhaben, die Aufnahme ins Gymnasium anders zu gestalten als ausschließlich anhand der Noten, interessant. Die Frage ist, wie die „Möglichkeit von Eingangsverfahren“ tatsächlich aussieht. Die Wiedereinführung des AHS-Aufnahmetests sollte es nicht sein – das sagt aber ohnedies auch die ÖVP. Eltern-Schüler-Lehrer-Gespräche könnten sinnvoll sein, vielleicht auch die Berücksichtigung von Potenzialanalysen oder standardisierten Leistungen. Denn derzeit ist zu oft der Fall, dass leistungsstarke Kinder aus den „falschen“ Familien zu Unrecht nicht im Gymnasium landen.


Noten sind jedenfalls so oder so – bei aller Symbolkraft – sicher nicht das Element, das die Schulen und ihre Leistungen wesentlich verbessern (oder verschlechtern) wird. Wobei das Vorhaben, das undurchschaubare siebenteilige Notensystem in der Neuen Mittelschule zu kippen, sicher vernünftig ist. Worum es geht, ist das, was in den Wochen vor dem Zeugnistag in den Klassen passiert.

Ähnliches gilt übrigens auch für die neue Bildungspflicht: Die ist prinzipiell ein vernünftiger Ansatz. Dafür brauchen die Kindergärten und die Schulen aber auch von Anfang an die entsprechenden finanziellen Ressourcen (und nicht nur neue Regeln). Sonst sitzen leseunfähige Jugendliche künftig nämlich einfach nur ein paar Jahre mehr in den Klassen ab.

E-Mails:bernadette.bayrhammer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2017)

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