Koalitionsverhandlungen: Harte Strafen für nachlässige Eltern

Sebastian Kurz
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ÖVP und FPÖ wollen Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe an die Schulpflicht knüpfen und eine Bildungspflicht für alle einführen.

Wien. Mehr als vier Stunden haben ÖVP und FPÖ am Dienstag verhandelt, dann war das Bildungskapitel im (vorläufigen) Koalitionspakt fertig. Es bringt nicht nur das alte Notensystem zurück, sondern auch mehr Regeln und Sanktionen. Finanzielle Kürzungen im Bildungsbereich seien – entgegen vielen Gerüchte – nicht geplant, versicherten ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache hinterher. Stattdessen wolle man investieren. Wie viel, sagten sie nicht. Denn noch steht die Finanzierung nicht. Dafür ist das Programm schon recht detailliert. Ein Überblick in zehn Punkten.

1. Beim Schwänzen drohen schärfere Sanktionen – bis hin zum Entzug der Familienbeihilfe.

Schon bisher gibt es Strafen für Eltern, deren Kinder die Schule schwänzen. ÖVP und FPÖ planen Verschärfungen: Eltern könnten Sozial- und Transferleistungen verlieren, und zwar auch, wenn sie selbst nicht die „Aufgaben und Pflichten“ erfüllen, um an der Schulkarriere ihrer Kinder mitzuwirken – etwa nie zu Elternsprechtagen erscheinen, nicht auf Nachrichten reagieren, nichts gegen unregelmäßigen Schulbesuch unternehmen. Dann sollen im Extremfall Leistungen wie die Familienbeihilfe gestrichen werden. Das ähnle dem Mutter-Kind-Pass, sagt ÖVP-Verhandler und Bildungsexperte Andreas Salcher: Auch da ist die Familienbeihilfe an die Mitwirkung der Eltern geknüpft. Dieser soll auch tatsächlich weiterentwickelt werden und die Entwicklung der Kinder erfassen.

2. Bildungspflicht für alle – mit der Option auf eine verlängerte Schulpflicht.

ÖVP und FPÖ wollen eine Bildungspflicht einführen. Demnach werden die Schüler gesetzlich verpflichtet, so lange im Schulsystem zu bleiben, bis sie „genau definierte“ Kernkompetenzen in Lesen, Schreiben, Rechnen und soziale Kompetenzen beherrschen – schlimmstenfalls bis zum 18. Lebensjahr.

Generell soll festgeschrieben werden, was ein Schüler beim Abschluss wissen beziehungsweise welche Grundfertigkeiten er beherrschen muss. Diese Bildungsziele werden gemeinsam mit den „Zielbildungsanstalten“, etwa den AHS oder den Unis, erarbeitet. Der Fortschritt wird regelmäßig überprüft – verpflichtender Förderunterricht inklusive. In der siebten Schulstufe sollen Schüler einen „Chancen-Pass“ bekommen, ein neuer Test, mit dem die richtige Wahl des weiteren Bildungsweges unterstützt werden soll.

3. Wer nicht gut genug Deutsch spricht, kommt in die Vorschule, nicht in die erste Klasse.

Es war eine Forderung, die sowohl die ÖVP als auch die FPÖ schon lange geäußert haben: Deutsch wird ein Kriterium für die Schulreife. Wer die Sprache mit sechs Jahren noch nicht ausreichend beherrscht, um dem Unterricht zu folgen, darf noch nicht in die erste Klasse Volksschule, auch nicht als außerordentlicher Schüler wie derzeit, sondern wird in die Vorschule geschickt. Wenn die Kinder gut genug Deutsch können, sollen sie wechseln dürfen, auch während des Jahres. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache sprach am Dienstag auch von einer möglichen Verpflichtung, in den Sommerferien an Sprachförderkursen teilzunehmen.

4. Zweites Kindergartenjahr zum Deutschlernen, bessere Ausbildung für Kindergärtnerinnen.

Der Kindergarten ist einer der Schwerpunkte. Es soll ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr geben – für die, die es brauchen, die also nicht gut genug Deutsch sprechen. Die Sprache soll im Kindergarten gefördert werden. Dafür wurden laut FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache 70 Mio. Euro veranschlagt. Ein Bildungsrahmenplan – der schon in der Bildungsreform mit der SPÖ vereinbart war – soll Qualität sicherstellen. Auch beim Personal gibt es Neuerungen: Als erster Schritt sollen laut Salcher Kindergartenleiterinnen akademisch ausgebildet werden, mittelfristig alle Kindergartenpädagoginnen. Gleichzeitig soll es bei Kindergärten mehr Kontrolle geben.

5. Ziffernnoten muss es geben – und die AHS können ein Beratungsgespräch einführen.

Der einfachere Umstieg auf verbale Beurteilung in den ersten drei Volksschulklassen wurde gerade erst umgesetzt. Auch wenn sich Schulen dafür entscheiden, müssen sie die verbale Beurteilung künftig wieder mit Ziffern von eins bis fünf unterlegen. In der Neuen Mittelschule soll das siebenteilige Notensystem wieder aufgegeben werden.

Bei der Aufnahme in die AHS bekommen die Schulen mehr autonome Entscheidungsmöglichkeiten. Auch von temporären „Eingangsverfahren“ ist die Rede, allerdings erklärt die ÖVP dazu, dass das keinesfalls Aufnahmetests sein sollen, sondern dass es sich etwa um Beratungsgespräche handelt.

6. Neues Besoldungssystem für alle Lehrer – und klare Regeln für die Kündigung.

Auch für die Lehrer dürfte sich alsbald einiges ändern: Ihre Entlohnung (Besoldung) soll sich – quer durch alle Schultypen – an der Leistung und dem „Output“ orientieren. Alle Pädagogen werden zur regelmäßigen Fortbildung verpflichtet – „insbesondere am Schulstandort und grundsätzlich in der unterrichtsfreien Zeit“, wie es im schwarz-blauen Programm heißt. Basis für die Weiterbildung wird ein ECTS-Punktesystem sein. Die Ausbildungseinrichtungen müssen vom Ministerium anerkannt sein.

Außerdem wollen ÖVP und FPÖ „klare Regelungen“ für die Anstellung, Bewertung und Kündigung von Lehrern aufstellen. Und ein flächendeckendes Feedback für die Lehrer – durch die Schüler. Abgeschafft werden soll das Bildungsinstitut Bifie.

7. Gegen die Gesamtschule, aber für die Ganztagsschule.

Das „bewährte, differenzierte Schulsystem“ wird laut den schwarz-blauen Plänen „erhalten und ausgebaut“ – zulasten der Gesamtschule, dem bildungspolitischen Leitprojekt der SPÖ. Stattdessen sollen im Rahmen eines „Schulentwicklungs- und Sanierungsplanes“, der gemeinsam mit den Bundesländern und Gemeinden erarbeitet wird, weitere AHS-Standorte geschaffen werden. Die Möglichkeit der Gesamtschulmodellregionen soll aber nicht gestoppt werden.

Die Ganztagsschule dagegen ist Schwarz-Blau ein Anliegen. Entsprechende Schul- und Betreuungsangebote sollen ausgebaut werden – ab zehn Jahren auch in verschränkter Form (das Kind muss den ganzen Tag in der Schule bleiben). Insgesamt sollen alle Schulen besser ausgestattet werden, vor allem digital. Und: Es soll mehr Sport und Bewegung an Schulen geben – explizit wird im vorläufigen Koalitionspakt die „tägliche Bewegungseinheit“ erwähnt.

8. Comeback der Sonderschulen und der sonderpädagogischen Ausbildung.

Das Sonderschulwesen wird nicht nur erhalten, sondern künftig auch gestärkt. Parallel dazu möchten Volkspartei und Freiheitliche die sonderpädagogische Ausbildung wieder einführen und mit neuen Inhalten erfüllen. In anderen Regelschulen sollen die Kriterien für die Inklusion präzisiert werden.

Für Schüler mit besonderem Förderbedarf werden neue Ausbildungsmöglichkeiten angedacht, etwa eine „standardisierte Abschlussprüfung für eine Fachausbildung als Vorstufe der Lehrabschlussprüfung“.

9. Auch Leistungsgruppen könnten wieder eingeführt werden, Finanzierung wird reformiert.

Schulen dürfen wieder Leistungsgruppen einführen: „Flexible Umsetzung der inneren Differenzierung am Schulstandort“ ist ein Punkt im schwarz-blauen Programm. Mittel, die derzeit an den Neuen Mittelschulen an Team Teaching gebunden sind, sollen künftig auch für „Coaching, Leistungs- oder Fördergruppen“ verwendet werden dürfen. Die Schulen bekommen Autonomie.

Generell schwebt ÖVP und FPÖ bei der Schulfinanzierung ein neues System „unter Bedachtnahme regionaler und sozialer Anforderungen“ vor. Was die mit dem Autonomiepaket eingeführte flexible Klassenschülerzahl angeht, gegen die sich die Lehrervertreter massiv gewehrt haben, sagt ÖVP-Bildungsverhandler Andreas Salcher zur „Presse“: „Die Flexibilität bleibt erhalten.“

10. Weiterentwicklung von Lehre und HTL unter Berücksichtigung der Digitalisierung.

Eine Aufwertung der Lehre war vor allem der FPÖ ein Anliegen. Vom „Land der Meister“ ist im schwarz-blauen Pakt nun die Rede. Die Lehre solle durch mehr Durchlässigkeit und moderne Ausbildungsmöglichkeiten gestärkt werden, heißt es da. Konkret soll der Lehrberufkatalog um aktuelle Berufsbilder erweitert werden, Stichwort Digitalisierung. ÖVP und FPÖ wollen Verbünde zur gemeinsamen Ausbildung von Lehrlingen durch mehrere Betriebe. Und die neunte Schulstufe ist als vorbereitender „Schultyp“ für eine weiterführende Lehr- und Facharbeiterausbildung vorgesehen. Eine Reformkommission soll hier Impulse liefern – unter Berücksichtigung regionaler Anforderungen und Rahmenbedingungen.

Auch die berufsbildenden höheren Schulen (BHS), vor allem die HTL, sollen – in Abstimmung mit Wirtschaft und Industrie – weiterentwickelt werden, insbesondere im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich (Mint) und im Hinblick auf die Veränderungen durch die Digitalisierung.

AUF EINEN BLICK

Bildung und Budget. Wie viel Geld es für die Vorhaben im Bildungsbereich geben wird, wurde noch nicht genannt. Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) versicherten aber im Anschluss an die Vorstellung ihrer Ideen Dienstag Nachmittag, dass im Bildungsbereich entgegen mancher Befürchtungen keine Kürzungen, sondern Investitionen anstünden. Konkrete Summen wurden einzig beim geplanten zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr genannt: Strache erwähnte Kosten in Höhe von 70 Millionen Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2017)

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