Brexit überschattet Agrarreform

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Felder(c) Clemens Fabry
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Die Kommission will die Subventionsvergabe ein bisschen effizienter machen. Über den baldigen Ausfall von Milliarden im Budget schweigt sie vorerst noch.

Brüssel. Landwirtschaftskommissar Phil Hogan präsentiert heute, Mittwoch, seine Vorstellungen davon, wie es mit der Landwirtschaftspolitik, dem größten Brocken im Unionshaushalt, weitergehen soll. Mehr Evolution als Revolution, Vereinfachung einer Politik, die außerordentlich komplex geworden ist, aber in Summe kein großer Wurf, wie „Die Presse“ schon vorab erfahren konnte. Im Kern möchte die Kommission den Mitgliedstaaten und Regionen größeren Spielraum bei der Erreichung der gemeinsamen agrarpolitischen Ziele – von Versorgungssicherheit über Bodenschutz und Artenvielfalt bis zum Beitrag zu den Klimaschutzzielen der EU – einräumen.

Doch diese Mitteilung, in der durchaus richtig auf die seit der jüngsten Reform 2013 veränderten Bedingungen auf den Produktmärkten verwiesen wird, lässt die entscheidende Frage unbeantwortet: Was bedeutet der Budgetausfall durch den Brexit? In der Kommission schweigt man eisern zur Frage, wie sich die Ausgaben des Unionshaushaltes im nächsten mehrjährigen Finanzrahmen nach dem Jahr 2020 darstellen könnten, wenn pro Jahr netto rund zehn Milliarden Euro weniger an Beiträgen aus London nach Brüssel überwiesen werden.

Im Europaparlament geht man wesentlich offener mit dieser Unausweichlichkeit um. „Wir gehen davon aus, dass das Agrarbudget einer jener Posten ist, der am stärksten vom Sparen betroffen sein wird. Es ist ja auch der größte Posten im Budget“, sagte Karin Kadenbach von der SPÖ, eines von derzeit zwei österreichischen Mitgliedern im Agrarausschuss des Parlaments, zur „Presse“.

Österreich stark betroffen

Anfang November legte dieser Ausschuss eine Studie vor, welche die Folgen des Brexit für die Landwirtschaftspolitik der EU in Zahlen zu fassen versuchte. Die Studienautoren, Eulalia Rubio und Jörg Haas vom Jacques-Delors-Institut in Berlin und Paris, schätzen, dass der britische Nettobeitrag zum Landwirtschaftsetat jährlich drei Milliarden Euro beträgt. Würde man den Verlust dieses Betrags durch höhere Mitgliedsbeiträge ausgleichen, würden Österreich, Deutschland, die Niederlande und Schweden am stärksten draufzahlen. Sie würden nämlich zusätzlich zu ihren erhöhten Beiträgen um den „Rabatt vom Britenrabatt“ umfallen (Großbritannien zahlt einen verringerten Mitgliedsbeitrag, der dadurch entstehende Fehlbetrag wird von den anderen Nettozahlern kompensiert, allerdings nicht in voller Höhe). Dieser Ausgleich des Fehlbetrags durch die Nettozahler würde aber die Ungleichgewichte in der Subventionsvergabe vergrößern, warnen die Studienautoren.

Der Löwenanteil der Agrarsubventionen entfällt auf die Direktzahlungen, heuer sind es rund 42,6 Milliarden Euro. Sie sind an die Betriebsgröße gekoppelt, erhöhen dadurch den Wert von agrarischem Grund und sind somit besonders schwer zu beschneiden. Kommissionspräsident Juncker hat im Sommer in einem Papier zur Zukunft der EU-Finanzen zur Debatte gestellt, die Direktzahlungen zurück in die Hände der Mitgliedstaaten zu geben. Das würde den Unionshaushalt zwar stark entlasten, Kadenbach ist aber skeptisch: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Mitgliedstaaten das wirklich wollten.“ Sie rät eher dazu, Verdoppelungen in der EU-Politik, zum Beispiel zwischen der Förderung der ländlichen Entwicklung und Kohäsionsprogrammen, zu beseitigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2017)

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