Essay vom Glück

Der scheue Vogel lässt sich nicht vermessen

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Das Glück, von dem wir alle träumen, erweist sich bei näherem Hinsehen als widersprüchlicher Begriff. Denn das intime Hochgefühl ist etwas anderes als jene mittlere Zufriedenheit, die wir quantifizieren und gezielt steigern können.

Das Glück ist ein Vogerl. Nehmen wir uns vor, etwas so Federleichtes nicht mit bleiernen Grübeleien zu beschweren. Lauschen wir erst einmal dem Volksmund ab, was er darüber zu wissen glaubt. „Da streiten sich die Leut‘ herum oft um den Wert des Glücks“, singt der Tischler Valentin in Raimunds „Verschwender“. Doch seltsam, da fangen die Fragen schon an. Steht denn nicht ganz außer Streit, dass Glück etwas Wertvolles ist, vielleicht sogar das Wertvollste im Leben? Dennoch klingt es etwas hohl, wenn uns jemand erklärt: „Der Sinn meines Lebens ist, glücklich zu sein.“ Weil dieses Bekenntnis so trivial und inhaltsleer ist? Oder vielmehr deshalb, weil man Glück gar nicht erstreben kann? Der Vogel setzt sich auf unsere Schulter, „liab, aber scheu“, wie es im Wienerlied heißt, aber er lässt sich nicht einfangen. Trotzdem haben sich die Amerikaner das „Streben nach Glück“ als Grundrecht jedes Bürgers in ihre Verfassung geschrieben. „Den Mutigen hilft das Glück“, „Jeder ist seines Glückes Schmied“ – auch solche flotten Sprüche suggerieren, wir hätten es in der eigenen Hand.

Dabei ist das Glück doch ganz individuell, intim, subjektiv. Nehmen wir an, wir treffen auf einen Menschen, der alles hat, was man sich so wünschen kann: Geld, beruflichen Erfolg, einen liebevollen Lebenspartner und reizende Kinder. Wenn er uns trotz allem versichert, er sei total unglücklich, können wir ihm schwerlich sagen: „Stimmt nicht.“ Wir müssen es ungläubig glauben.

Aber diesen leisen Notaten aus den Tiefen der Seele steht eine Armee von Wissenschaftlern gegenüber, die uns lautstark versichern: Wir haben das Glück vermessen, skaliert, verglichen und können euch nun genau sagen, welche Ursachen es hat und wie der Staat es steuern kann. Solche Widersprüche lassen uns fast verzagen. Schließlich zweifeln wir auch noch, wie im „Hobellied“, am Wert des Glücks: Jagen wir nur einer schnöden Lust nach, setzen wir uns ein egoistisches, unmoralisches Ziel? Und verdirbt uns nicht ein Zuviel an Glück, weil es uns abstumpft und überdrüssig macht? – was wohl der psychologische Sinn von Schillers „Ring des Polykrates“ ist.

Vom Schleckeis bis zur Erleuchtung

Wir sind nahe daran, Valentin recht zu geben: „Am End‘ weiß keiner nix.“ Aber damit finden wir uns nicht ab, am Anfang von 92 Seiten Zeitung, vollgepackt mit Glück von vorn bis hinten. Da wollen wir doch lieber vorab zu klären versuchen, wovon wir hier reden und was unsere Sehnsucht antreibt. Glück ist ein Gefühl, ein besonders positives, ein Hochgefühl. Es zeigt sich in vielen zarten Abstufungen, von der Freude bis zur Seligkeit. Aber es steht nicht isoliert da, sondern als Begleiter von etwas Anderem, das uns wertvoll ist. Da ist nun die ganze Palette möglich. Was kann einen Menschen nicht alles glücklich machen: ein Schleckeis und eine Motorjacht, ein scheuer Kuss und wilde Leidenschaft, ein Streichquartett und eine Technoparty, eine religiöse Erleuchtung, blühende Wiesen, das Lächeln eines Kindes oder die Treue eines Freundes. Deshalb zeigt das Glück auch so viele Nuancen.

Wer hingegen „Glück hat“ (wofür man übrigens fast nur im Deutschen dasselbe Wort verwendet), kommt unerwartet zu einem Gut, sei es durch Gelingen oder durch Zufall. Ob ihn das auch „glücklich macht“, ist eine andere Frage. Denn Güter mögen zwar einen objektiven Wert haben, Waren sogar einen Preis. Aber nicht davon hängt die Stärke des Glücksgefühls ab, sondern nur von der je eigenen Fähigkeit, für den Wertgehalt des Gutes empfänglich zu sein.

Nun scheint es ein psychologisches Faktum zu sein, dass wir diese Fähigkeit verlieren, wenn wir dem Glück nachjagen – womit wir wieder beim „Vogerl“ wären. Vielleicht liegt es auch daran, dass sich etwas konkret Erstrebtes – der Urlaub, die Beförderung, der Nachwuchs –, sobald es sich endlich erfüllt, als gar nicht so toll wie erwartet erweist. Vor allem aber: Nur der Besitz materieller Güter lässt sich direkt anstreben, und auch das nur bedingt. Es gibt immer genügend andere, die ein teureres Auto und ein schöneres Haus haben. Alle seelischen und geistigen Güter, vor allem Liebe und Zuneigung, lassen sich gar nicht herbeizwingen. Wenn sie uns doch beglücken, dann wie der Vogel, der sich auf unserer Schulter niederlässt. Fliegt er fort, tut sich oft der Abgrund des Unglücks auf.

Freilich lassen sich diese großen Gefühle, mit denen jeder für sich selbst ringen muss, auch herunterdimmen auf ein gesellschaftlich vermittelbares Maß, von der Poesie auf die Prosa. Dann geht es um anderes: um die objektiven Möglichkeiten der Menschen in einer Gesellschaft, ihre konkreten Wünsche zu verwirklichen. Das meinen die Politiker und Ökonomen, wenn sie vom „Glück“ der Bürger oder Konsumenten sprechen. Dann geht es um ganz handfeste Dinge: um Lohnerhöhung, Kaufkraft, die Qualität der Schulen und wie schnell man von Wien nach Salzburg kommt. Man sollte dieses Schmalspurglück für Studien und Talkshows aber etwas tiefer hängen und lieber nur von Zufriedenheit reden. Um sie geht es in den meisten der folgenden Artikel. Aus gutem Grund, denn nur sie lässt sich öffentlich verhandeln – vor allem die Frage, wie man sie durch gute Politik oder innovative Technik steigern kann. Diese Zufriedenheit ist es also, woran wir schmieden können.

Dazu lohnt es, sie erst einmal zu quantifizieren und zu messen, worüber wir nicht die Nase rümpfen wollen. Die Schweden sind glücklicher als die Österreicher, weil sie im Glücksindex auf 7,8 kommen, wir aber nur auf 6,5? Warum denn nicht, wenn solche wissenschaftlichen Spielereien dazu anregen, uns von den frohgemuten Schweden irgendetwas Schlaues abzuschauen.

Gelungenes Leben statt Lustintegral

Wir sollten uns aber hüten, die beiden Ebenen, das Haben und das Sein, sorglos zu vermischen. Sonst gehen wir in die Falle, nur noch in ökonomischen Begriffen zu denken: das Glück als Nutzenfunktion in einem Koordinatensystem, in dem jeder Punkt seinen Preis hat. Dann zeigt sich auch der Gefühlswert als Zerrbild, das Unbehagen bereitet. Ist es das Ziel des Lebens, ein Hochgefühl an das nächste zu reihen, das Integral einer Kurve zu maximieren? Dann wäre auch das Glück nur schnöde Lust und wir selbst Nietzsches letzte Menschen, mit einem Lüstchen für den Tag und einem Lüstchen für die Nacht. Es würde auch gar nicht funktionieren, denn das Hochgefühl braucht beim Lebewesen Mensch den Kontrast, um nicht zu verflachen. Ohne Arbeit kein Feierabend.

Dass wir etwas anderes meinen, wenn wir an das Lebensglück denken, zeigt ein (leicht makabres) Gedankenexperiment. Angenommen, man bietet uns zwei Leben zur Auswahl an. Das erste ist lustvoll fast bis zum Schluss, nur endet es damit, dass wir unter Hohn und Hass unserer Mitmenschen öffentlich hingerichtet werden. Das andere ist recht gewöhnlich, gemischt aus Freud und Leid. Aber weil wir darin doch einiges von dem erreicht haben, was wir uns vornahmen, rundet es sich harmonisch und endet versöhnt. Wer von uns würde nicht dem zweiten den Vorzug geben? Das deutet an, dass auch der Gefühlswert Glück im Ganzen so etwas wie ein gelungenes Leben meint.

Aber auch für dieses Gelingen gibt es kein objektives Maß. Ob uns nun viel oder wenig Beglückendes über den Lebensweg läuft: Es geht immer darum, es bewusst zu erleben und dankbar zu empfinden. Lässt sich das lernen? Dann wird das Glück zur Aufgabe – und vielleicht sogar, wie bei den alten Griechen, zur höchsten Tugend.

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