Ein neues Bild von Günther Anders

Günther Anders schrieb auch über Filme und ihre Wirkung.
Günther Anders schrieb auch über Filme und ihre Wirkung.(c) Literaturarchiv der Österr. Nationalbibliothek
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Günther Anders wurde in seinen Wiener Jahren zum Philosophen der Anti-Atomkraft-Bewegung. Nun untersuchen Forscher unveröffentlichte Texte über Medien, Ästhetik und Film.

Der Philosoph Günther Anders (1902–1992) galt zeitlebens als strenger Kritiker und Mahner. Technik und Medien begegnete er mit fundierter Skepsis, zuweilen auch mit Furor und drastischer Sprache. Seine Texte zur Fernsehkritik, besonders „Die Welt als Phantom und Matrize“, sind bis heute berühmt.

Doch in den 1920er-Jahren, am Höhepunkt des Weimarer Kinos, sah Anders das Medium Film noch erstaunlich positiv. Das zeigen zahlreiche medienästhetische Texte, die Kerstin Putz und Reinhard Ellensohn in einem vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projekt des Instituts für Philosophie der Uni Wien und des Literaturarchivs der Österreichischen Nationalbibliothek untersuchen.

Geleitet wird das Projekt von Konrad Paul Liessmann und Bernhard Fetz. Mit zum Großteil unveröffentlichten Materialien aus dem Anders-Nachlass, der im Literaturarchiv liegt, präsentieren die Forscher unbekannte Facetten seines Werkes. „Günther Anders zählt zu den bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts, auch wenn er oft auf seine Technikkritik und den Kampf gegen die atomare Drohung reduziert wurde. Die Edition von Texten aus dem Nachlass von Günther Anders wird das Bild, das wir uns von ihm als Philosoph und Schriftsteller machen, grundlegend verändern“, sagt Liessmann.

Zwei neue Bände geplant

Ziel ist es, für eine Werkausgabe in Einzelbänden bei Anders' Hausverlag C.H.Beck zwei neue Bände herauszugeben: Zunächst einen Band mit Anders' kunst- und medientheoretischen Schriften. „Man kennt Anders als skeptischen Medien- und Technikkritiker. Sein Interesse für den Film und sein affirmativer Blick auf die künstlerischen visuellen Medien sind jedoch nicht bekannt. Wir möchten seine Denkbewegung rekonstruieren“, sagt Kerstin Putz.

„Anders verstand den Film in der Frühzeit dezidiert als Medium der Kunst“, sagt Ellensohn. „Das änderte sich durch die technische Perfektionierung des Films. Es ist typisch für ihn zu sagen: Je mehr das Filmbild der Realität angenähert wird, desto weniger künstlerisches Potenzial hat das Medium Film.“ Ellensohn edierte bereits die bisher unveröffentlichten musikphilosophischen Schriften von Anders.

Den Übergang vom Stummfilm zum Tonfilm erlebte Anders noch in der Weimarer Zeit. Er schrieb über den Film „Vampyr“ des dänischen Regisseurs Carl Theodor Dreyer und interessierte sich für den Spuk als Phänomen. Der 1902 in Breslau als Sohn des Pioniers der Persönlichkeitspsychologie, William Stern, mit dem Namen Günther Stern geborene Philosoph hatte 1924 in Freiburg bei Edmund Husserl promoviert. Sein Bemühen, sich bei Paul Tillich in Frankfurt in Musikphilosophie zu habilitieren, war – beeinflusst von Theodor W. Adorno – gescheitert. 1933 floh Anders, damals noch mit Hannah Arendt verheiratet, vor den Nationalsozialisten nach Paris und in die USA. Dort schrieb er über Charlie Chaplin und entwickelte Ideen zu einer progressiven Nutzung des Films.

„Gelegenheitsphilosophie“

„Anders hat keine kohärente Filmtheorie verfasst, sondern gelegenheitsphilosophische, kurze Texte, die unveröffentlicht blieben oder in Tageszeitungen erschienen sind“, beschreibt Ellensohn das Material, das häufig in verschiedenen Versionen vorliegt. Doch im Exil schwand allmählich die Begeisterung für den Film. Nicht nur der Wechsel vom Stumm- zum Tonfilm und schließlich zum Farbfilm, sondern auch die Entwicklung der Filmindustrie, vor allem in Hollywood, wo Anders einige Jahre lang lebte, waren dafür verantwortlich. „Seine spätere Kritik der Massenmedien ist ohne seine Hollywood-Zeit nicht zu verstehen“, sagt Putz, die einen Band mit Briefen und Texten zu Anders und Hannah Arendt ediert hat.

Briefliches Netzwerk gepflegt

In den USA hatte Anders nur wenige Möglichkeiten zu publizieren, auch weil er fast ausschließlich auf Deutsch schrieb. „Die Filmindustrie in Hollywood sah er zunehmend kritisch“, so Putz. Ab den Vierzigerjahren entstanden Texte, die in Richtung seiner späteren Fernsehkritik weisen. „Aus dieser Zeit lässt sich ein Weg erkennen, der von uns als Weg von der Medienästhetik zur Medienkritik formuliert wird“, sagt Ellensohn.

Nach dem Krieg zog Anders mit seiner damaligen Frau Elisabeth Freundlich nach Wien und lebte dort bis zu seinem Tod 1992. Obwohl er sich in Wien sein „Headquarter“ eingerichtet hatte, publizierte er seine Texte vor allem in Deutschland, so Putz.

Der zweite, jetzt geplante Band soll eine Auswahl aus Anders' Briefwechseln versammeln: Anders stand mit vielen maßgeblichen Intellektuellen seiner Zeit im Austausch, Bloch, Lukács, Adorno, Plessner oder Bertrand Russell gehörten dazu. Aber auch Naturwissenschaftler und politische Aktivisten. „Uns interessiert, das briefliche Netzwerk zu zeigen, das Anders gepflegt hat“, erklärt Putz.

Anders nutzte Briefe als ein wichtiges Mittel der Intervention: Er unterstützte Aktivisten und stand in Kontakt mit der Anti-Atombewegung weltweit. Mit offenen Briefen wandte er sich an John F. Kennedy oder an Klaus Eichmann, den Sohn von Adolf Eichmann. Die geplanten Bände aus dem Nachlass sollen Anders als Teil eines internationalen Netzwerks zeigen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2017)

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