"Politikern fehlt oft Gefühl, etwas fundamental falsch gemacht zu haben"

Rainer Nowak bat Julian Reichelt zur Pressestunde
Rainer Nowak bat Julian Reichelt zur Pressestunde(c) pro media kommunikation gmbh/APA
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"Europa hat die USA als Sehnsuchtsland abgelöst", sagt der Vorsitzende der "Bild"-Chefredaktionen, Julian Reichelt. Für David Kennedy von der Harvard Law School fühlt sich die Welt instabil an.

Weltordnung. So lautete das Thema, das den elften Europäischen Mediengipfel in Lech am Arlberg am Samstag dominierte. Der Vorsitzende der "Bild"-Chefredaktionen, Julian Reichelt, sprach aus diesem Anlass in der "Pressestunde" mit "Presse"-Chefredakteur Rainer Nowak über seine Erfahrungen als Kriegsberichterstatter. "Ich habe in den letzten drei Jahren die Situation in Aleppo hautnah journalistisch miterlebt", schilderte er. Als Grund für die vielen Missstände der Welt sieht er unter anderem ein fehlendes Bewusstsein der Politik für falsche Entscheidungen.

"Sehr dramatisch ist die tiefe Überzeugung, das Richtige getan zu haben", analysierte Reichelt. "Politiker haben oft nicht das Gefühl, etwas fundamental falsch gemacht zu haben." Dabei nimmt er konkret Bezug auf den früheren US-Präsidenten Barak Obama.

Die Probleme Europas und Europas Nachbarn seien insofern die Auswirkungen der ersten wirklich linken Administration Amerikas. "Europa hat die USA als Sehnsuchtsland abgelöst, aber bisher können wir noch nicht damit umgehen", ergänzte er in Bezug auf die Flüchtlingsproblematik.

Die Welt fühlt sich instabil an

Unter dem Motto "Expertise in a World of Struggle" stand bereits am Freitagabend die Keynote von David Kennedy, Professor an der Harvard Law School. Eine eindeutige Antwort, ob die momentane Weltordnung instabil sei, blieb er schuldig. Allerdings, so räumte Kennedy ein, es fühle sich definitiv so an.

Ein Teil des Problems liege in einem neuen politischen Vokabular, das oft als Expertise bezeichnet wird und mehr der Strategie als der Wahrheit dient. "Comedy und Humor scheint vielleicht gerade deswegen oft ehrlicher als die Nachrichten selbst", meinte er. Und kritisierte, dass das Experten-Vokabular strategisch genutzt wurde, anstatt Tatsachen klar anzusprechen. Vermeintliche Expertise werde die Welt deshalb nicht wieder stabilisieren.

Amerika als Treiber der Weltunordnung

Im darauffolgenden Panel unter der Leitung von Pascal Thibaut, Leiter des Verbands der Auslandspresse in Berlin, standen hingegen die Auswirkungen der Geschehnisse in den USA im Fokus. Nach dem Motto "America first" dienen ihre Interessen kaum mehr einem globalen Publikum, sondern richten sich vermehrt nach innen – dabei waren sich die Diskussionsgäste zum größten Teil einig.

Tyson Barker, Program Director and Fellow bei The Aspen Institute Deutschland, betonte allerdings: "Trump ist nicht das Problem. Er ist lediglich ein Symptom eines viel tieferliegenden Problems." Diese Meinung teilte auch Josef Braml (Politikwissenschaftler, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik): "Die Weltordnung zerbricht, weil Amerika zu schwach ist und eine defekte, illiberale Demokratie präsentiert." Während die USA schwächelt, gewinne hingegen Asien und vor allem China an Stärke.

"Die alte Ordnung gibt es nicht mehr. Die Frage ist, wie die neue aussehen wird", ergänzte ORF-Korrespondent Raimund Löw und lenkte den Fokus eher auf die Unfähigkeit Europas, sich zusammenzuschließen. Auch die Vertreterin der Mercator-Stiftung, Verena Ringler hält Europa für derzeit überfordert. Nicht zuletzt, weil es sich zu lange auf die Ordnungsmacht USA verlassen hat. Sie plädierte dafür, die Stärken des Kontinents mehr zu nutzen – wie zum Beispiel eine friedliche Krisenlösung.

Europas Versäumnisse

Ebenso einen europäischen Ansatz verfolgte die anschließende Diskussion unter der Leitung von Armin Thurnher, Herausgeber und Chefredakteur des Falters. Als eine der Hauptursachen für aktuelle Probleme stellte sich fehlende Kommunikation und zu wenig Bekenntnis zur EU heraus. "Aus der derzeitigen Weltunordnung sollten wir die Schlussfolgerung ziehen, dass wir als Europäer in den Dialog mit anderen Ländern intensivieren müssen. Das war eines der größten Versäumnisse der letzten Jahrzehnte", meinte Franz Fischler, Präsident des Europäischen Forum Alpbach.

Othmar Karas, Mitglied des Europäischen Parlaments, kritisierte hingegen die fehlende Loyalität gegenüber Europa: "Ich akzeptiere nicht, dass man sagt, man gewinnt mit Europa keine Wahlen. Das ist Feigheit, das ist Populismus." Ebenso nahm die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle Bezug auf die letzten politischen Wahlen in Österreich: "Niemand hat darüber geredet, was die EU für Österreich gebracht hat. Wir fühlen uns sehr sicher und schätzen es oft zu wenig." Letztendlich waren sich alle einig, dass die großen Probleme der Gegenwart nur auf der europäischen Ebene gelöst werden können.

Den Abschluss des diesjährigen Mediengipfels bildete am Samstag der Internationale Presseclub. Der langjährige Medienmanager, Journalist und Berater Markus Spillmann diskutierte mit Paul Flückiger (Korrespondent in Warschau im Netzwerk von weltreporter.net), Inga Rogg (Türkei und Nah Ost-Korrespondentin NZZ und NZZ am Sonntag) und Pascal Nufer (SRF Korrespondent für China) über die aktuellen, erschwerten Bedingungen im Journalismus.

Kooperation

Der unter der Schirmherrschaft des österreichischen Außenministeriums stehende Europäische Mediengipfel in Lech am Arlberg – von der Kommunikationsagentur ProMedia Kommunikation initiiert und mit Lech Zürs Tourismus GmbH und dem Verband der Auslandspresse in Wien organisiert – wird von der Gemeinde Lech und dem Land Vorarlberg, dem Europäischen Parlament, dem Presseclub Concordia, dem Verband der Auslandspresse Berlin sowie von der D. Swarovski Tourism Services GmbH und BMW unterstützt. Weitere Partner sind die Tirol Werbung und das MCI – Management Center Innsbruck sowie „Die Zeit“.

Die Medienakademie wird unterstützt von APA – Austria Presse Agentur, Moser Holding GmbH und Russ Media. Als Medienpartner der Veranstaltung fungieren Die Presse, die Austria Presse Agentur, Der Standard, Handelsblatt, Tiroler Tagezeitung sowie Vorarlberger Nachrichten.

Dieser Artikel ist in Kooperation mit der Österreichischen Medienakademie entstanden.

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