Sexuelle Übergriffe in Skigymnasium: „Je nachdem, wie aufmüpfig einer war“

Im österreichischen Skisport herrscht weiterhin Unruhe.
Im österreichischen Skisport herrscht weiterhin Unruhe.(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Ex-ÖSV-Fahrer erhebt schwere Anschuldigungen gegen das Skigymnasium Stams.„Pastern“ sei kein harmloses Ritual, sondern ein „sexuelles Machtspiel“.

Sexuelle Gewalt, Missbrauch, Vergewaltigung, das Beschmieren der Genitalien mit Schuhpasta, das anale Einführen diverser Gebrauchsgegenstände, Machtausübung auf Neuankömmlinge in den Skigymnasien Neustift oder Stams. Und ein Rektor, der von „Riten“ spricht, dieses „Pastern“ so erklärt: „Da hat man den Hintern ein bissl mit Schuhcreme eingerieben bekommen.“ Ist das tatsächlich die Wurzel österreichischer Skikultur oder gibt es solche Vorfälle sonder Zahl in allen anderen Sportarten mit Internatsbetrieb?

Nahezu täglich tauchen nach Nicola Werdeniggs Aussagen zu den sittenwidrigen Vorgängen im Skisport in den 1970er-Jahren neue Vorwürfe auf. Noch immer stehen Namen aus, ist unklar, ob der von ihr ins Spiel gebrachte Vorfall aus dem Jahr 2005 tatsächlich als Missbrauch vorgefallen ist. Der Staatsanwalt ermittelt, das Landeskriminalamt ebenso. Schonungslose Aufklärung und strikte Prävention werden verlangt, Erstmaßnahmen wurden eingesetzt. In Tirol wurde sogar eine Opfer-Hotline installiert und bereits neue Berichte von drei ehemaligen Schülern wurden aufgenommen.

Die Aussagen eines anonym bleiben wollenden Ex-ÖSV-Fahrers gossen nun neues Öl ins Feuer. Dieses „Pastern“ sei sehr wohl in den 1980er- und 1990er-Jahren ein „zutiefst sexuelles Machtspiel“ gewesen, das über einfache Initiationsriten weit hinausgehe, erklärte er dem „Standard“.

Anders kann man es sich als Außenstehender auch nicht erklären, die Intention dahinter zumindest halbwegs zu deuten. Es ist befremdend, solche Übergriffe (an einer österreichischen Eliteschule) zu wissen: „Da wurde ganzen Generationen mit Gewalt von mehreren meist älteren und stärkeren Sportlern die Hose heruntergerissen. Je nachdem, wie aufmüpfig einer vorher war, bekam er Zahnpasta oder einen mehr oder weniger klebrigen Klister anal verabreicht“, beschreibt der Interviewte den Ablauf dieser Gewalttaten. Schlimmstenfalls sei Nassschnee-Klister verabreicht worden. Der eigentliche Verwendungszweck dessen ist im Langlauf angesiedelt: Es ist Steigwachs.

Solche Missbräuche sollen selten im Geheimen passiert sein. Damit sei ein Exempel statuiert worden, berichtet der ehemalige Skisportler im „Standard“ und bringt damit Schule, Erzieher, Lehrer – aber auch Vereine, Skiklubs, den ÖSV – in Erklärungsnot. Dass Erzieher nicht dabei gewesen seien, darf nicht unerwähnt bleiben. Gewusst aber hätten sie davon, so der Kern der Aussage.


Mentalität von Spitzensportlern? Dass Profisportler ihre Grenzen überschreiten, darf im Umkehrschluss nicht erlauben, dass soziale Verhaltensweisen ausgehebelt werden. Die Aussage des Ex-Sportlers, sich selbst diese Entwicklung mit der „Mentalität von Spitzensportlern“ zu erklären, die traumatisiert abstumpfen, weil sie Verletzungen riskieren, den eigenen Körper quälen, zeichnet jedoch ein erschreckendes Bild. Opfer wurden folglich irgendwann so selbst zu Tätern („Es wurde normal“), es sei ein eigenes Duell um Macht und Hierarchie in der Skischule gewesen, so der Bericht. Wie viele Kinder und Jugendliche solche Ereignisse im Skigymnasium traumatisiert hätten? Die Frage blieb unbeantwortet.

Der Österreichische Skiverband   meldete sich am Samstagabend in einer Aussendung zu Wort und sprach von "großer Betroffenheit", mit der man die Berichterstattung "von nicht vertretbaren Vorfällen oder Übergriffen in Schulen mit sportlichen Schwerpunkten" zur Kenntnis genommen habe. Gleichzeitig wurde aber festgehalten, dass der ÖSV keinerlei Verantwortung für diese Vergehen trage.

"Wir legen großen Wert auf die Feststellung, dass der Österreichische Skiverband weder Träger von Schulen oder Internaten ist, noch Einfluss auf die Auswahl von Lehrern oder Erziehern hat", hieß es in der Mitteilung. "Selbstverständlich kooperiert der Österreichische Skiverband mit diesen Einrichtungen. Ausdrücklich wollen wir uns aber dagegen verwehren, dass der Österreichische Skiverband im Zusammenhang mit solchen Vorfällen als mitverantwortliche Institution genannt wird."

Dass es auch im Österreichischen Skiverband zu Missbrauchsfällen gekommen sein könnte, wurde aber auch thematisiert: "Im Hinblick auf die Größe des ÖSV und die Vielzahl der Aktiven und Betreuer können auch wir nicht Vorfälle in unserem Bereich von vornherein ausschließen. Aus diesem Grunde wurde von uns eine Anlaufstelle für allfällig Betroffene eingerichtet." Damit wurde vom ÖSV erneut auf die ehemalige Landeshauptfrau der Steiermark, Waltraud Klasnic, als vertrauliche Ansprechperson verwiesen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.12.2017)

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