Forcierte Bilder, forcierte Töne

Marcel Beekman (Mime), Daniel Brenna (Siegfried)
Marcel Beekman (Mime), Daniel Brenna (Siegfried)(c) Herwig Prammer / Theater an der Wien
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Das Mittelstück der "Ring"-Trilogie nach Richard Wagner: Siegfried träumt von seinen Eltern, erweckt Brünnhilde - und rackert sich sängerisch ab.

Ein „Siegfried“ ohne Wissenswette und Erda, dafür mit einer großen Rückblende zum Wälsungenpaar: Der komplette erste Akt der „Walküre“ und das verknappte Ende des zweiten werden hier eingeschoben in die Geschichte des jungen Siegfried, der Zentralfigur des Mittelstücks dieser dekonstruierten und neu montierten „Ring“-Trilogie im Theater an der Wien. Am ersten Abend fühlte sich Hagen offenbar einem Haufen degeneriert-unreifer Typen überlegen. Es schien deshalb, die Regisseurin Tatjana Gürbaca würde die Idee einer radikal subjektiven Sicht der jeweiligen Hauptfigur weiter verfolgen. Das hätte bedeuten können, dass Siegfried eine entsprechend juvenile Bilderbuch-Vorstellung von Schwertern, Drachen und Heldentaten entwickelt, die das Publikum als seine innere Wahrheit erblickt.

Doch nein: Gürbaca behält den erzählerischen Rahmen ebenso bei wie seine Details – eine verpasste Chance. Barbara Drosihns Kostüme bleiben unserer Gegenwart abgeschaut, und auf Henrik Ahrs Drehbühne widersetzen sich die Szenenbilder etwas forciert dem Althergebrachten: Fauteuils statt Höhle und Schmiede, den Wald verschmutzt eine illegale Müllhalde, die „selige Öde auf wonniger Höh'“ gleicht einer Gruft.

Eingeweihte können darüber nachdenken, ob und wie Weglassen und Hinzufügen hier ein Gleichgewicht finden. Wagner-Novizen hingegen dürfte das Ganze verwirren. Denn mit besonderer Leidenschaft entzaubert Gürbaca die magischen Gegenstände, die ihre Kraft nur durch Zuschreibung erlangen: Ist das Rheingold überhaupt nicht konkret vorhanden gewesen, bleibt auch aus Siegfrieds Sicht Notung nur ein notdürftig mit Klebeband geflicktes Brotmesser. Der Tarnhelm reduziert sich auf zwei aufgesetzte Stierhörner, Fafner torkelt betrunken in Menschengestalt daher. Und als Horn dient Siegfried eine Plastiktröte.

Den Ring freilich muss Gürbaca beibehalten, ein Schlagring wie einst bei Harry Kupfer. Dafür führt sie einige szenische Leitmotive ein: Siegfrieds Batik-T-Shirt hat Siegmund gehört und geht in einer mystischen Begegnung vom Vater auf den Sohn über; Hunding (auch als Fafner markant: Stefan Kocan) kommt mit einem Baseballschläger daher, der schon bei den Gibichungen geschwungen wurde. Pech freilich, wenn dem hier fast unbedeutenden Wanderer Aris Argiris der „Speer“ schon vor der Zeit in zwei Teile zerfällt...

Nach „Siegfried“ lässt sich getrost feststellen: Das Prägende dieser Arbeit sind und bleiben Bearbeitung und Regie, weniger die musikalische Interpretation. Unter Konstantin Trinks klingt das RSO Wien jedenfalls wie das drittbeste Wagnerorchester der Stadt. Die reduzierte Besetzung mag den Stimmen zum Teil helfen, bietet ihnen jedoch weder akustische Polster noch gnädige Hüllen.

Gequälte Höhen

Was so an gleichsam nacktem Gesang zu hören ist, schmeichelt dem Ohr selten – besonders nicht im Falle von Daniel Brennas Siegfried. Zumeist stemmte er die Töne nur quälend knapp in die geforderten Höhen, weshalb man sich mehrfach nach dem Rotstift sehnte. Besser, aber auch nicht gerade mühelos Ingela Brimberg, die mit etwas knöchernem Sopran die Brünnhilde gab, während Marcel Beekman eine bis auf wenige exponierte Stellen ausgefeilte Studie des Mime präsentierte. Szenisch wie musikalisch am eindringlichsten gelang der „Walküre“-Einschub, mit der zur echten, zupackenden Wotanstocher aufgewerteten, guttural glühenden Sieglinde von Liene Kinča – und Daniel Johansson, der als verlässlicher Siegmund auch lyrisch locker den Lenz besang.

DIE RING-„TRILOGIE“

Tatjana Gürbaca und Bettina Auerhaben mit Dirigent Constantin Trinks für das Theater an der Wien eine dreiteilige, etwa auf die Hälfte verkürzte Version von Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ erarbeitet.
„Hagen“
steht noch am 7., 17. und 29. Dezember auf dem Programm.

„Siegfried“ bildet am 10., 18. und 30. das Zentrum.

„Brünnhilde“ beschließt die Trilogie am 10., 19. und 31. Dezember.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.12.2017)

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