"Ring"-Collage im Theater an der Wien: Interessant gescheitert

Szene aus "Brünnhilde".
Szene aus "Brünnhilde".(c) APA (Herwig Prammer)
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Wagners Tetralogie, mit umgestellten Szenen und auf drei Abende verknappt: für eine Dekonstruktion zu brav, für eine Gesamtsicht zu fragmentiert. Das zeigte er auch der letzte Abend namens "Brünnhilde".

Ist es Asche oder Gold? Je nach Licht und Perspektive scheint zu wechseln, was da am Schluss herabregnet, wenn das Kind Hagen und eine jugendliche Brünnhilde Hand in Hand das Ende einer alten Welt beobachten – und zugleich die Möglichkeit einer friedlichen Zukunft symbolisieren. Die erwachsene Walküre hat zuvor die Tore hinter sich geschlossen und versinkt mitsamt dem riesigen weißen Prisma. Im Inneren feierten schon während ihres Schlussgesangs die übrig gebliebenen Frauenfiguren – Rheintöchter und Gutrune – über Siegfrieds Leiche mit Schaumwein den Untergang und vielleicht auch Neubeginn, den Wagners Musik da nach dramatischen Schmerzen zu verheißen scheint . . .

Sieglindes Ausruf: gestrichen

In diesem komplett gegebenen dritten Aufzug der „Götterdämmerung“ lässt endlich auch das ORF Radio-Symphonieorchester Wien unter Konstantin Trinks alle vorangegangenen Holperer im Laufe dieses Großprojekts vergessen, spielt sich frei in der reduzierten Besetzung, wächst mit dem Erlösungsmotiv über sich hinaus – jenes Motiv übrigens, das in der „Walküre“ zum ersten Mal auftaucht, zu Sieglindes Ausruf: „O hehrstes Wunder“. Dass diese Stelle in der „Ring-Trilogie“ des Theaters an der Wien gestrichen war, lässt erahnen, dass manche Kürzungen nicht bloß die Spielzeit verringern, sondern den Werkorganismus notgedrungen verletzen.

Buhs und Bravorufe fürs Regieteam

Wie Asche und Gold prasselten anschließend Buhs und Bravorufe auf das Regieteam nieder, das sich erst nach diesem finalen Abend dem Publikum stellen wollte: „Brünnhilde“ heißt er und besteht aus viel „Götterdämmerung“ sowie Wotans Abschied (ohne Feuerzauber) aus der „Walküre“.

Kunst lebt nicht zuletzt vom Wagnis, Scheitern muss möglich sein, ohne dass die Mutigen deshalb gleich mit Häme übergossen werden. So gesehen kann man bei aller Anerkennung feststellen: Diese „Ring-Trilogie“ des Theaters an der Wien ist gescheitert – mit Anstand und auf oft interessante Weise, aber doch gescheitert. Denn sie ist weder Fisch noch Fleisch, also: einerseits schmerzlich unkomplett und für eine herkömmliche Deutung zu erratisch und sprunghaft, andererseits nicht radikal genug im neu montierten Zuschnitt auf die Zentralfiguren der Kinder- und Enkelgeneration von Wotan und Alberich. Wenn nun in „Brünnhilde“, als einzige wiederkehrende Szene der Trilogie, Gunther erneut mit seiner Braut heimkehrt und statt einer differierenden Deutung aus Brünnhildes Blickwinkel sich schlicht wiederholt, was wir schon in „Hagen“ gesehen haben, wird das Versäumnis deutlich. Überzeugend wäre vermutlich nur eine Fassung gewesen, die bewusst die nämlichen Ereignisse immer wieder anders gezeigt hätte. Das hätte die Spielzeit aber drastisch verlängert statt verkürzt – ein unauflöslicher Widerspruch, galt es doch auch, das Monsterwerk für das vergleichsweise kleine Theater an der Wien bewältigbar zu machen.

Brotmesse statt Speer

Was bleibt? Einige packende Ideen der Regisseurin Tatjana Gürbaca in der Personenführung, vor allem bei Sieglinde in „Siegfried“ – und manches, auf das sie die Wagnergemeinde lustvoll mit der Nase stoßen will: Das scheinbar Magische wird entzaubert (Brotmesser statt Schwert, Lampenständerstange statt Speer) oder gleich ganz entsorgt; dafür kommen neue Leitmotive und Symbole ins Spiel. Brünnhildes Wohngrotte zieren nun Blumenvase und ein großbürgerliches Klavier, über das sogar Ann-Beth Solvang als sonor besorgte Waltraute lacht; dem nach Hagens Stich immer noch lebenden Siegfried gibt schließlich ein gezielter Hieb mit einem schon bekannten Baseballschläger den Rest, geführt von den Mannen, die plötzlich von Memmen zu Brutalos mutieren. Um den Mörder zu entlasten und der Gesellschaft Mitschuld zu geben?

Wie vielen Kolleginnen fliegen auch Ingela Brimberg speziell nach der „Götterdämmerungs“-Brünnhilde die Herzen zu: Ihrem etwas herben Sopran mag der Schmelz fehlen, doch besitzt sie genügend Stamina und, bei allen menschlichen Leiden, die sie durchmachen muss, auch die nötige Hoheit in der Darstellung. Daniel Brennas Siegfried jedoch bleibt ein Paradebeispiel für jenen Tenortypus, dem zwar markerschütternde Kräfte zur Verfügung stehen, nicht aber stimmliches Raffinement: Wo eine solide Gesangstechnik Türen öffnen könnte, rennt er mit voller Wucht gegen die Wand. Samuel Youn gebricht es als Hagen nach wie vor an gefährlicher Bassesfülle, der zusammengestrichene Wotan von Aris Argiris bleibt auch sängerisch eine Randfigur – vokal überwiegt leider die Asche das Gold.

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