Werte führen

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Management im Kopf: Folge 80. InForMent. Komplexität und Führung: Über den Wert von etwas und die Werte von jemanden.

Unternehmen und Institutionen sind hochkomplexe Systeme. Kann man sie überhaupt führen? Und wenn ja, wie? Aktuell bringt Maria Pruckner in ihrer Kolumne MANAGEMENT IM KOPF dazu Anregungenauf der Basis ihrer langjährigen Erfahrung mit der praktischen Anwendung verlässlicher Erkenntnisse der Systemwissenschaften.

Heute beginne ich von hinten, mit einem PS: Mein Beitrag von voriger Woche strotzt vor Schreibfehlern. Er entstand in aller Eile zwischen den Umzugskisten meines Büros. Ich hätte sie korrigieren lassen können, aber mir war die nötige Perfektion in anderen Dingen wichtiger. Werte sind heute übrigens der am meisten strapazierte Faktor, wenn es um die Fragen der Führung geht. Was ist mit Werten gemeint und welche Rolle spielen sie?

Wert oder Werte?

Fangen wir mit einer häufigen Verwechslung zweier Begriffe an, mit der Verwechslung von Wert und Werten. Der Wert von etwas steht für das Ergebnis einer objektiven Messung oder subjektiven Beurteilung. Hier geht es zum Beispiel um Geld- oder Tauschwerte, Gewichte, Größen, Längen, Höhen, Mengen, Geschwindigkeiten, etc. Unter Werten, die im Kontext von Führungsfragen angesprochen werden, versteht man hingegen Wertvorstellungen. Hier geht es im allgemeinen Sprachgebrauch um erstrebens- bzw. erhaltenswerte Phänomene immaterieller Natur, die nicht exakt messbar sind. Zum Beispiel um ethische, moralische, soziale und intellektuelle Einstellungen, von denen man glaubt, dass sie das Entstehen von etwas Wertvollem fördern. Den Wert von etwas erfragt man durch wie viel, wie hoch, wie schwer, etc. Wertvorstellungen erfragt man hingegen durch: Was ist wichtig? Worauf wird Wert gelegt?

Der Ursprung des Kostbaren

Verfolgt man den Ursprung des Wortes "Wert" zurück, landet man bei zwei Begriffen, und zwar bei „kostbar“ und „werden“. Werte sprechen in diesem Sinn etwas an, durch das etwas Kostbares entsteht. Hinter Werten steht also eine Auffassung, Überzeugung, Ideologie oder ein Glaube, wodurch etwas Erwünschtes real werden kann. Die Wertvorstellungen von Führungskräften sind daher die entscheidende Basis ihres Führungsverhaltens und -erfolgs. Anhand ihrer Wertvorstellungen entscheiden sie, was sie für gut und nicht gut befinden, was sie zulassen und was nicht. Erkennbar sind ihre Wertvorstellungen also anhand ihrer Entscheidungen, und nicht an ihren formellen Wertebekenntnissen, die sie in Leitbildern abgeben. Predigt ein Leitbild zum Beispiel Höflichkeit, greifen Führungskräfte bei unhöflichem Verhalten aber nicht korrigierend ein, ist Höflichkeit sicher keiner ihrer Werte, auch wenn er noch so fett gedruckt in einem schönen Layout in einem Leitbild steht.

Die Werte der anderen

Führen wäre ganz einfach, hätten nur Führungskräfte Werte. So ist es aber nicht. Jeder Mensch bringt seine eigenen Wertvorstellungen mit. Diese können mit denen ihrer Vorgesetzten kompatibel sein, oder auch nicht. Führungskräften muss es daher einerseits gelingen, die tatsächlichen Wertvorstellungen ihrer Mitarbeiter, Kollegen, Chefs, Kunden, Lieferanten, etc. zu erkennen. Andererseits müssen sie diesen ihre eigenen Wertvorstellungen klarlegen können, und sie – wo und wann immer auch nötig – davon überzeugen können, dass ein vorgegebener Werterahmen zu berücksichtigen ist. Wodurch glaube ich, dass etwas Kostbares entstehen kann? Über diese Frage denken professionelle Führungskräfte in jeder Führungssituation nach, und auf diese Frage haben sie in jeder Situation eine klare Antwort.

Wertewandel

Ein Begriff, der in den letzten Jahren etwas verklungen ist, davor aber lange Zeit in aller Munde war, ist der des Wertewandels. Angesprochen wird damit, dass man neuerdings ganz andere Werte für wichtig erachtet als bislang. Ein verwandter, aber deutlich exakterer Begriff dazu wäre Paradigmenwechsel. Auslöser für den hier gemeinten Wertewandel waren die Systemwissenschaften. Vor ihrem Entstehen um die Mitte des 20. Jahrhunderts hat man sich beim Verstehen, Beurteilen und Bewerten von Dingen und Situationen vor allem an der Physik orientiert. Man spricht hier vom materialistischen Weltbild, in dem sich alles Geschehen durch das Verhalten von Energie und Materie erklären lässt. Mit den ersten Systemwissenschaften, der Kybernetik und Allgemeinen Systemtheorie, kam eine völlig neue Sicht auf die Welt auf: Mit Norbert Wiener lässt sich alles Geschehen und Funktionieren – bislang unwiderlegt – erst durch die Kommunikation und die dabei gewonnene oder eben nicht gewonnene Information erklären.

Soll-Werte

Im Rahmen der Systemwissenschaften wurden in logischer Konsequenz völlig andere Soll-Werte gesucht und gefunden, als wir sie von der Physik kennen, um festmachen zu können, wie etwas gelingen oder misslingen kann. Es ging plötzlich nicht mehr um messbare Werte von Größen, die in der BWL in Zahlen gegossen werden können. Nun ging es um Werte, welche vor allem das erfolgreiche Wahrnehmen, Erkennen, Lernen, Verstehen, Verhalten, Handeln, Koordinieren, Kooperieren, etc. fördern, damit etwas Kostbares real werden kann. Dies aus der Erkenntnis heraus, weshalb Kommunikation nicht nach dem Modell des Nürnberger Trichters funktioniert. Mehr aber noch aus der Erkenntnis heraus, dass die Natur von Kommunikation generell in und zwischen allen Wesen und Dingen so angelegt ist, dass sie vom Prinzip her gar nicht klappen kann. Es gibt nur einen Weg gelingender Kommunikation: Lernen, was ein Gegenüber meint. „Lernende Organisationen“ waren daher damals das wirkungsvollste Schlagwort im Management, der Hintergrund wird aber vielfach bis heute falsch verstanden.

Zwecke und Ziele

Die beiden fundamentalen Soll-Werte, auf denen die Denkschule der Kybernetik aufbaut, sind die Zwecke und Ziele eines Systems, einer Beziehung oder interaktiven Einheit. Einerseits deshalb, weil sich komplexe Verhältnisse ohne Bezug auf bestimmte Zwecke und Ziele nicht sinnvoll beurteilen lassen. Sinnvolles kommt nur heraus, wenn man fragt: Was bedeutet diese komplexe Situation für das Erfüllen von Zweck X und das Erreichen von Ziel Y? Anderseits spielen Zwecke und Ziele eine große Rolle für die Menschenführung. Erst wenn sie Klarheit über die Zwecke und Ziele ihrer Aufgaben haben – die meisten Menschen sprechen hier von Sinn – haben sie eine belastbare Grundlage, um sich selbst führen zu können. Hinsichtlich von Zwecken und Zielen spielen auch die Wertvorstellungen Beteiligter und Betroffener die entscheidende Rolle. Die je eigenen Werte können für oder gegen die unternehmerischen Zwecke und Ziele arbeiten. Vertreten alle Seiten in Kommunikation- und Interaktionsverbindungen dieselben Werte, wird das Einbringen des erforderlichen Verhaltens nicht besonders schwierig sein. Liegen unterschiedliche Wertvorstellungen vor, entwickeln sich die Interaktionen ziemlich wahrscheinlich konfliktreich, kontraproduktiv und kostspielig.

Ziele im Management

In vielen Unternehmen werden unter Zielen nur monetäre Umsatz- und Gewinnziele verstanden. Damit will ich nicht gesagt haben, dass diese unwichtig sind, sondern nur, dass es zu kurz gedacht ist, sich allein mit solchen Zielen zufrieden zu geben. Sich selbst oder anderen vorzugeben, dass etwa 2018 der Umsatz um 40% gesteigert und der Gewinn um 60% erhöht werden muss, ist keine große Führungsleistung. Diese beginnt erst mit Zielen, die auf Wertvorstellungen basieren, wie Kostbares – hier die Umsatz- und Gewinnsteigerung – am ehesten verwirklicht werden kann. Zu den wichtigsten dieser Ziele gehören solche, die sich auf den Informations- und Lerngewinn beziehen sowie auf das Vertrauen innerhalb der Organisation und in die Organisation von außen. Um solche wertbezogenen Ziele zu formulieren und verfolgen, genügt es nicht, sich einen sozialen Heiligenschein aufzusetzen. Dafür muss man verstanden haben, dass Unternehmen bzw. Institutionen die Eigenschaften komplexer Systeme aufweisen und um welche es sich dabei handelt. Erst dann kann man deren kostenlose Kräfte durch kluge Wertvorstellungen anzapfen und daraus Kostbares entstehen lassen.

Zwecke im Management

Noch stärker unterschätzt werden die Zwecke im Management, also der Nutzen, der für ein Umfeld gestiftet und von diesem seiner Kostbarkeit entsprechend vergütet werden soll. Systeme sind Systeme, weil hier zwischen einzelnen Einheiten ein Austausch erfolgt, der Ergebnisse hervorbringt, die kein Teil allein verwirklichen könnte. Damit Beziehungen und Systeme ausreichend stabil und gesund bleiben, müssen alle interagierenden Teile in ausgewogener Balance von den Wertschöpfungsprozessen profitieren, also bekommen, was sie brauchen, um die gewünschten Beiträge leisten zu können. Synergie ist das Stichwort dazu.

Achtsamkeit als Wert?

Ein Wert, der in letzter Zeit Hochkonjunktur hat, ist Achtsamkeit. Mir käme er nie in den Mund. Er erinnert mich sofort an meine Klinikjahre, in denen permanente Achtsamkeit tatsächlich angebracht war. Ich habe es in diesen Jahren, trotz extrem kalorienreichem Essen, nie auf mehr als 50 kg Körpergewicht gebracht. Dauerhafte Achtsamkeit erfordert enorme Konzentration und damit un-essbar viel Energie. Ich halte zwei andere Werte für viel wirksamer: Stressvermeidung durch professionelle Organisation und Kommunikation, und die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf das Entscheidende durch professionelle Führung. Dann nämlich kommt die Achtsamkeit von ganz allein. Achtsamkeit für sich allein ist kontraproduktiv, solange nicht klargestellt ist, worauf geachtet werden soll. Wenn man für alles achtsam sein soll, kann man letztlich für nichts achtsam sein. Achtsamkeit ist ein Ergebnis aus idealen Rahmenbedingungen, nicht die Voraussetzungen für solche. Was ich damit beispielhaft gesagt haben will: Es lohnt sich, gut überlegt zu bewerten, was einem als Führungskraft von Wert sein sollte…

Schreiben Sie Ihre Frage zum Umgang mit Komplexität in Führungs- und Managementaufgaben an Maria Pruckner. Sie wird darauf eingehen.

Maria Pruckner. Die selbstständige Beraterin, Trainerin und Autorin ist seit 1992 auf den professionellen Umgang mit hoher Komplexität und Dynamik in Unternehmen und Institutionen spezialisiert. Seither entwickelt sie für diesen Zweck verlässliche kybernetische System-Modelle, die sie mit einem systematischen Anwendertraining verbindet. Damit gehört sie auf ihrem Gebiet weltweit zu den am längsten dienenden Pionieren und Problemlösern in der Praxis. Die langjährige Schülerin von Heinz von Foerster arbeitet seit damals stark vernetzt und konsequent mit international führenden Experten aus Wissenschaft und Praxis. Ihr Unternehmenssitz ist in Wien.

Mehr unter www.mariapruckner.com

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