Livebericht In den Überresten einer Kirche zelebriert ein Priester den Gottesdienst. Auf der Straße werden Jugendliche von Gangmitgliedern erschossen, berichtet "Presse"-Reporter Stefan Riecher aus Haiti.
Montag, 4:22 MEZ (Sonntag, 22:22 Ortszeit)
Seit dem starken Nachbeben von vergangener Nacht bebte die Erde nicht mehr. Zumindest eine positive Nachricht.
Besorgniserregend ist hingegen nach wie vor die Sicherheitssituation in manchen Teilen der Stadt. Unser Hotel ist aber gut bewacht, dafür wurde ein privater Sicherheitsdienst aus der Dominikanischen Republik engagiert. Hier fühle ich mich sicher.
Am Montag werde ich einige Helfer bei der Arbeit begleiten. Updates dazu folgen.
//Sonntag, 22:36 MEZ (16:36 Ortszeit)
Die beiden erschossenen Bandenmitglieder wurden mittlerweile von UN-Mitarbeitern mitgenommen. Ein Bagger warf sie auf einen LKW zu all den anderen Leichen. Nun werden sie in einem Massengrab verbrannt.
Im Nordosten der Stadt bietet sich ein herzzerreißendes Bild: In einer halb zerstörten Kirche singt ein Priester das Sonntagsgebet. Zehn Menschen singen mit, sie sind fröhlich und hoffnungsfroh. Unter ihnen 5 Kinder, eines davon hat Schnittwunden und Kratzer am ganzen Kopf. Trotzdem lacht es und winkt mir freundlich zu.
Sonntag, 16:38 MEZ (10:38 Ortszeit)
Habe gerade eine Rundfahrt durch große Teile von Port-au-Prince gemacht. In manchen Teilen - vielleicht ein Fünftel der Stadt - herrscht nach wie vor Anarchie. Gangmitglieder erschießen Konkurrenten. Ich sah soeben zwei junge Burschen tot auf der Straße liegen, die Arme hinter dem Rücken gefesselt, mit Kopfschüssen hingerichtet. Hilfe ist noch nicht angekommen.
In anderen Gegenden haben die Menschen riesige Zeltlager gebildet. Sie singen und beten. Sie haben durch das Beben nicht alles verloren und zumindest etwas Nahrung.
Leichen sieht man immer noch in den Straßen liegen, allerdings deutlich weniger. Die UN-Mannschaft kommt mit dem Einsammeln der vielen Toten voran.