Nahost-Konflikt: Israels Premier wirft Europa Doppelmoral vor

Demonstrator holds a Palestinian flag during clashes with Israeli troops near the Jewish settlement of Beit El near Ramallah
Demonstrator holds a Palestinian flag during clashes with Israeli troops near the Jewish settlement of Beit El near Ramallah(c) REUTERS (Mohamad Torokman)
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Die Europa-Visite des Premiers Israels, Netanjahu, könnte zu keinem brisanteren Zeitpunkt erfolgen. In der islamischen Welt gingen indes die Proteste gegen die Anerkennung Jerusalems als Israels Hauptstadt weiter.

Paris/Jerusalem. Schon seit Wochen war die Reise des israelischen Premiers, Benjamin Netanjahu, nach Paris fixiert. Sein Besuch bei einem Mittagessen mit dem Präsidenten Frankreichs, Emmanuel Macron, im Élysée-Palast bekam jedoch eine unverhofft größere Aktualität: Die Anerkennung von Jerusalem als Israels Hauptstadt durch US-Präsident Donald Trump hat die ursprünglich vorgesehenen Themen verdrängt.

In der Hauptstadtfrage kann Benjamin Netanjahu in Frankreich nicht mit Verständnis oder sogar Entgegenkommen rechnen. Zwar hat im Vorfeld des Besuchs der Repräsentative Rat der Jüdischen Institutionen Frankreichs (Crif), der Trumps Schritt als „historischen Entscheid“ begrüßt hat, den französischen Staatschef ersucht, Frankreich „auf dieselbe mutige Richtung zu verpflichten“. Macron aber hat bei einem Besuch in Algier unzweideutig Trumps Ankündigung als „bedauernswert“ bezeichnet, da sie dem Völkerrecht und den UNO-Resolutionen entgegenlaufen. Auf Twitter hatte Macron das noch ausgeführt: „Bezüglich Jerusalem unterstützt Frankreich den Entscheid der Vereinigten Staaten nicht. Frankreich steht zur Zweistaatenlösung, dank der Israel und Palästina in Frieden und Sicherheit zusammenleben, und mit Jerusalem als Hauptstadt der beiden Staaten.“

Macron hat zuvor angekündigt, Frankreich sei bereit, „zusammen mit seinen Partnern alle zweckdienlichen Initiativen zu ergreifen“, die es erlauben, „Gewalt zu vermeiden und den Dialog zu fördern“. Damit spielt die Pariser Staatsführung den Ball der diplomatischen Friedensbemühungen an die EU weiter. Netanjahu reist von Paris aus nach Brüssel weiter, wo er am heutigen Montag mit den EU-Außenministern zusammentrifft. Auch dieser Besuch ist vereinbart worden, lang bevor es zum Streit um Jerusalems Status gekommen ist.

Keine Verurteilungen wegen Raketen

Mit Europa geht der israelische Premier hart ins Gericht: Er wirft den Europäern „Scheinheiligkeit“ vor. Während die Europäer den US-Präsidenten kritisierten, weil er Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt habe, seien ihm keine „Verurteilungen“ aus Europa von palästinensischen Raketenabschüssen auf israelisches Gebiet bekannt geworden, erklärte Netanjahu in der Nacht zum Sonntag. „Obwohl ich Europa respektiere, bin ich nicht bereit, von dieser Seite Doppelmoral hinzunehmen“, sagte Netanjahu.

Die Proteste gegen die Entscheidung der USA ebben nicht ab: In Indonesiens Hauptstadt, Jakarta, demonstrierten am Sonntag Tausende Menschen vor der US-Botschaft. In der libanesischen Hauptstadt, Beirut, kam es zu Ausschreitungen. Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, die in der Nähe der US-Botschaft Feuer entzündeten, die palästinensische Flagge schwenkten und versuchten, die Straße zur diplomatischen Vertretung zu blockieren.

Auch in Israel kam es am Wochenende zu heftigen Protesten. Die Fatah, die Partei von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas, hatte noch am Samstagabend dazu aufgerufen, die Proteste in den Palästinensergebieten fortzusetzen. Zwar blieb die Lage am Wochenende angespannt, insgesamt gingen die Krawalle aber zurück. Nur ein paar Tausend Demonstranten versammelten sich in verschiedenen Städten im Westjordanland, steckten Reifen, US-Flaggen und Plakate mit dem Bild Trumps in Brand. Besonders folgenschwer blieben die Auseinandersetzungen im Gazastreifen, wo vier Menschen bei den Luftangriffen der israelischen Kampfpiloten und bei Feuergefechten im Grenzgebiet zu Tode kamen. Zuvor hatten Hamas-Kämpfer Raketen auf die israelische Stadt Sderot abgefeuert. Am Sonntag brachten israelische Soldaten einen Tunnel zum Einsturz, durch den die Hamas wahrscheinlich Terroristen nach Israel einschleusen wollte. Israels Verteidigungsminister, Avigdor Lieberman, hat zu einem Boykott arabischer Ortschaften im Norden des Landes aufgerufen. In Jerusalem selbst ist am Sonntag bei einem Messerattentat im Zentralen Busbahnhof ein israelischer Sicherheitsmann schwer verletzt worden.

Anstrengungen gegen den unilateralen Beschluss des US-Präsidenten verlagerten sich unterdessen auf internationale Bühnen. In einer Dringlichkeitssitzung der Arabischen Liga, die am Samstagabend in Kairo stattfand, stellten sich die Außenminister der Mitgliedsstaaten einstimmig gegen die Ankündigung Trumps und erklärten sie als nichtig. Die Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt habe keinerlei rechtliche Bedeutung, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Werbung für Anerkennung Palästinas

Für die Palästinenser gilt es jetzt, sich die international günstige Stimmung zunutze zu machen und vor allem in Europa für eine Anerkennung Palästinas zu wirken. Im Vorfeld der Reise von Israels Regierungschef unterzeichneten 56 Mitglieder des EU-Parlaments einen direkt an Benjamin Netanjahu adressierten Aufruf zur Kompensationszahlung in Höhe von 1,2 Millionen Euro für die Zerstörung von EU-finanzierten humanitären Projekten. Dazu gehörten Schulen, Wasserleitungen und Zisternen sowie Energiegewinnungsanlagen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2017)

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