Italien rief den Energienotstand aus, weil über den Knoten Baumgarten kein Gas mehr kommt. Die Papiere der großen Öl- und Gaskonzerne legten zu.
Wien/Rom. Die Explosion in Baumgarten ist mehr als nur ein lokales Ereignis – immerhin handelt es sich bei der Anlage um eine mitteleuropäische Gas-Drehscheibe. Die Gasstation ist die größte Import- und Übernahmestation für Erdgas in Österreich. Erdgas aus Russland, Norwegen und anderen Ländern wird dort übernommen, gemessen, geprüft und für den Weitertransport verdichtet. Von den knapp 180 Milliarden Kubikmetern, die die russische Gazprom im Vorjahr nach Europa lieferte, gingen rund 40 Milliarden über den Gasknotenpunkt im Marchfeld.
Von dort fließt das Gas weiter in Richtung Deutschland und Italien – nur hat die Explosion den Fluss vorerst gestoppt. Und so zog die Explosion schnell Kreise über Europa und sorgte für Nervosität. So wurde in Italien sogar der Notstand ausgerufen. „Wir haben ein ernsthaftes Problem mit der Versorgung“, sagte Wirtschaftsminister Carlo Calenda. Gleichzeitig hieß es allerdings in einer Pressemitteilung aus dem Ministerium, dass die Versorgung der italienischen Verbraucher weiter durch unterirdische Gasspeicher gewährleistet sei. Dies sei Teil des nationalen Notstandplans.
Auch der italienische Netzbetreiber Snam teilte zu Mittag über den Kurznachrichtendienst Twitter mit, dass die Versorgung der italienischen Bevölkerung wegen der Lagerbestände auf jeden Fall gesichert sei. Calenda nutzte den Vorfall, um auf die Notwendigkeit der geplanten Trans-Adria-Gaspipeline Tap einzugehen. Diese soll von Aserbaidschan nach Italien führen und die Konzentration der Gas-Lieferungen aus Russland aufweichen. „Wenn wir Tap hätten, müssten wir heute wegen dieses Versorgungsmangels nicht den Notstand ausrufen“, so Calenda. Der Bau der Tap, mit dem 2015 begonnen worden ist und der bis 2020 fertiggestellt sein soll, ist in Italien umstritten.
In Lecce und Umgebung protestieren Bürgermeister, Umweltschützer und Intellektuelle regelmäßig gegen die Pipeline, die an der apulischen Küsten ankommen soll. Die scharfe Reaktion aus Italien hängt wohl auch damit zusammen, dass die Lieferunterbrechung zu jener Zeit kommt, in der wegen des Wintereinbruchs ohnehin mehr Gas benötigt wird. Die täglichen Lieferungen seien von 113,5 Millionen auf 14 Millionen Kubikmeter Gas gesunken, teilte der örtliche Transporteur SNAM mit.
Die Lieferungen nach Deutschland sind dagegen nicht betroffen. Aktuell sei von keiner Beeinträchtigung auszugehen, teilte der Verband der deutschen Fernleitungsnetzbetreiber, FNB Gas, am Dienstag mit. Man verfolge die Situation aber weiterhin mit „höchster Aufmerksamkeit“. In der Slowakei gebe es weiterhin eine uneingeschränkte Versorgung von Industrie und Haushalten, so ein Sprecher des größten Gasversorgers des Landes, SPP, laut der Nachrichtenagentur TSAR. Der Gastransport Richtung Baumgarten sei vorerst aber aus Sicherheitsgründen unterbrochen worden, so der slowakische Pipelinebetreiber Eustream. Auf den Energiemärkten hatte der Vorfall aber jedenfalls schon am Dienstag Folgen. So stieg der Preis für britisches Gas zur sofortigen Lieferung um bis zu 45 Prozent. In Italien stieg der Großhandelspreis um gut 150 Prozent auf 60 Euro je Megawattstunde. Umgekehrt legten die großen Öl- und Gaskonzerne wie BP, Shell oder Statoil dank der Explosion im Marchfeld deutlich zu – der Branchenindex steuerte mit einem Kursplus von 1,5 Prozent auf den größten Tagesgewinn seit einem halben Jahr zu.
„Endkunden leiden nicht“
Bis die reguläre Gasversorgung wiederhergestellt sein wird, dürfte es noch dauern. Nach Einschätzung der OMV werde das eher „Tage, nicht Stunden“ dauern. Die Gasversorgung Österreichs sei dennoch nicht gefährdet, weil man auf gut gefüllte Gasspeicher zugreifen könne, heißt es aus der Regulierungsbehörde E-Control. Die Gaskunden in Österreich würden derzeit aus gut gefüllten Gasspeichern versorgt, erklärte der Leiter der Gas-Abteilung in der E-Control, Bernhard Painz. „Die Versorgung der Endkunden leidet nicht.“
Das nutzbare Speichervolumen der österreichischen Gasspeicher betrage rund acht Mrd. Kubikmeter, aktuell seien die Speicher mit sechs Mrd. Kubikmetern Gas gefüllt. Der tägliche Gasverbrauch betrage etwa 28,8 Mio. Kubikmeter. 2016 haben Österreichs Haushalte sowie Gewerbe und Industrie 7,8 Mrd. Kubikmeter Erdgas verbraucht. (als/jaz/eko/APA)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2017)