Leitartikel

Offensichtlich bedeutet Fortschritt, dass wir mehr Verbote brauchen

Raucherin vor einem Lokal
Raucherin vor einem LokalAPA/HELMUT FOHRINGER
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Was wir von der Hysterie über das Rauchverbot lernen: „Zeit für Neues“ sieht anders aus, dennoch können Verbote Eigenverantwortung nicht ersetzen.

Es bleibt also alles beim Alten. Nicht gerade ein guter Start für einen ÖVP-Chef, der noch im Wahlkampf „Zeit für Neues“ plakatiert hat – und jetzt auf Druck der FPÖ sein „Zukunftsprojekt“ mit einer Raucherdebatte beginnt. Als müsste man ausgerechnet dieses Thema zur ultimativen Koalitionsfrage stilisieren. Als hätten wir in Österreich keine größeren Sorgen, als ob man in irgendwelchen Hinterzimmern und Beisln tschicken darf.

Hustenreiz hin oder her. Die hysterische Diskussion über das Rauchen hat zumindest ein Gutes. Sie zeigt – wenn auch unfreiwillig – sehr schön auf, wie unsere Gesellschaft mit dem Thema Gesundheit und Eigenverantwortung umgeht.

Wir sind zwar Weltmeister im Mülltrennen, Europameister auf dem Gebiet der biologischen und nachhaltigen Landwirtschaft, aber wenn es um unser eigenes körperliches Wohl geht, dann delegieren wir dieses mit einer nicht zu überbietenden Selbstverständlichkeit an den Staat. Dann ist uns keine Steuer zu hoch, kein Verbot zu gering. Zigaretten verbieten, Zucker und Limonaden horrend besteuern: Ja es gab einmal eine Grünen-Politikerin, die wollte Kaugummiautomaten verbieten.

Wenn wir in Österreich von einem der „besten Gesundheitssysteme der Welt“ sprechen, dann meinen wir unsere Krankenhäuser und niedergelassenen Ärzte. Denn unser Gesundheitssystem ist im internationalen Vergleich verdammt schlecht – und teuer obendrein.

Spricht man mit Gesundheitsexperten wie Julian Hadschieff, dessen PremiQaMed-Holding mehrere Privatkliniken, Gesundheits- und Rehabilitationszentren betreibt, dann gibt es kaum ein Industrieland, in dem die Menschen so zeitig krank werden wie bei uns. Wir haben zwar eine sehr hohe Lebenserwartung, verbringen aber im Schnitt die letzten 20 Jahre unseres Lebens als Patienten im weitesten Sinn. Und glücklicherweise werden diese sehr gut medizinisch versorgt. Nur sollte uns eines allmählich dämmern: Ein gutes Gesundheitssystem erkennt man nicht an der Anzahl der Patienten. Und in einem guten Gesundheitssystem greift nicht jeder Vierte – 1,8 Millionen Menschen – täglich zur Zigarette. Wir brauchen mehr Prävention und weniger Reparatur.

Zynisch betrachtet, könnte man ja meinen, das „Rauchgebot“ dient zur Senkung der Pensionskosten. Internationalen Studien zufolge leben starke Raucher um zwölf Jahre kürzer als Nichtraucher. Wirtschaftswissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie haben 2015 sogar eine Studie präsentiert, in der sie zum Schluss kommen, dass Raucher die Allgemeinheit weniger kosten als Nichtraucher. Sie entlasten das Pensionssystem und zahlen Tabaksteuer. Immerhin kassiert der österreichische Staat jährlich 1,8 Milliarden Euro an Tabaksteuer, 77 Prozent einer Zigarettenpackung inhaliert der Finanzminister – rein monetär betrachtet natürlich. Aber nicht alles, was einen Preis hat, hat auch einen Wert. Und der Preis, den die Gesellschaft bezahlt, dass Menschen ihre Gesundheit und ihr Leben aus Bequemlichkeit wegwerfen, lässt sich nicht in Zahlen gießen. Besonders, wenn diesem Egoismus nicht nur sie selbst, sondern die Beschäftigten in der Gastronomie zum Opfer fallen. Ein strengeres Rauchverbot sollte sie schützen, nicht die Raucher strafen.

Ja, es ist ein komisches Signal, das die kommende Regierung sendet. Aber genauso unglaubwürdig sind Mediziner, die zwar gegen Politiker schimpfen, dabei aber übersehen, dass in den österreichischen Krankenhäusern genauso gequalmt wird. Dass im Foyer des Wiener AKH natürlich alle fröhlich vereint um den Aschenbecher stehen. Welch ein Signal ist das denn?

Wir erleben also eine Raucherdebatte, die an Doppelmoral nicht zu überbieten ist. Anstatt Raucher zu ächten, sollte die Gesellschaft – und der Staat – mehr Energie dafür aufbringen, dass seine jungen Bürger gar nicht mehr auf den Geschmack von Zigaretten kommen. „Gesundheitskompetenz“ nennt es Hadschieff – und die müsse in den Kinderschuhen gelernt werden – genauso wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Leider gibt es aber noch immer viele, die meinen, den Fortschritt einer Gesellschaft erkennt man an der Fülle an Verboten.

E-Mails an: gerhard.hofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2017)


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