Großbritannien: Abfuhr für einen harten Brexit

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Premierministerin May kam mit einer „demütigenden Niederlage“ nach Brüssel. Das Unterhaus hatte sich ein Veto zum Verhandlungsergebnis erkämpft.

London. Das britische Unterhaus hat der Regierung bei den Brexit-Verhandlungen Zügel angelegt. Mit knapper Mehrheit von 309 zu 305 Stimmen nahm das Parlament in der Nacht auf Donnerstag eine Entschließung an, die den Abgeordneten die Entscheidung über den EU-Ausstieg gibt. Ein Regierungssprecher zeigte sich „enttäuscht“, betonte aber zugleich: „Die Entscheidung wird den Brexit nicht aus der Bahn werfen.“

Eines der Hauptargumente der Befürworter des Austritts Großbritanniens aus der EU war gewesen, die volle Souveränität des nationalen Parlaments wiederherzustellen. Seit der Entscheidung für den Brexit vor 18 Monaten hatte die Regierung aber ganz im Gegenteil systematisch und regelmäßig versucht, das Parlament vom Austrittsprozess zu isolieren. Erst nach heftigen Protesten wurde schließlich beiden Parlamentskammern eine Abstimmung über den Vertrag zugestanden – allerdings erst nach Abschluss der Verhandlungen mit der EU und ohne die Möglichkeit zu Detailänderungen. Gegen die geplante Ausschaltung des regulären Gesetzgebungsprozesses regte sich bald nicht nur bei der Opposition Widerstand. Zur zentralen Figur des Protests wurde der frühere Generalstaatsanwalt und konservative Abgeordnete Dominic Grieve, der mit scharfem juristischen Skalpell die Argumentation der Regierung zerlegte und schließlich Churchill zitierte: „Es gibt Momente, in denen man das Land vor die Partei stellen muss.“

Start für Handelsgespräche

May führt seit der Parlamentswahl im Juni eine Minderheitsregierung, die auf Unterstützung der nordirischen Unionisten angewiesen ist. Die Abstimmungsniederlage von gestern hat ihre Position weiter geschwächt. Bisher konnte die zutiefst gespaltene konservative Fraktion sich im Zweifelsfall auf Stimmen der Labour-Opposition verlassen, bei der die Parteilinie zum Brexit kaum klarer als auf der Regierungsseite ist. Diesmal aber triumphierte Labour-Chef Jeremy Corbyn, May habe eine „demütigende Niederlage“ erlitten. In Abwandlung des Slogans der Brexit-Kampagne von 2016 spottete er: „Das Parlament hat die Kontrolle zurückerobert.“

Tatsächlich bedeutet das Abstimmungsergebnis, dass die Regierung nun ihre Verhandlungsresultate mit der EU dem Parlament zur Bewertung und abschließenden Abstimmung vorlegen muss. Damit werde den britischen Unterhändlern „der Boden unter den Füßen weggezogen“, argumentierten Anhänger einer harten Position gegenüber Brüssel. Angesichts der Tatsache, dass in beiden Kammern des Parlaments eine klare Mehrheit für einen möglichst weichen (oder gar keinen) Brexit besteht, sehen sie ihre Felle dieser Tage rasant davonschwimmen.

Erst in der Vorwoche hatte London einer „Einigung“ in der ersten Phase der Brexit-Verhandlungen zugestimmt, die einem völligen Einknicken gleichkam. Sie eröffnete nämlich der weiteren Übernahme von EU-Recht im ganzen Land Tür und Tor. Als Preis erhofft sich May dafür eine Zustimmung des EU-Gipfels zur baldigen Aufnahme von Gesprächen über ein künftiges Handelsabkommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2017)

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