Gastkommentar

Arbeitszeitrecht: So komplex, dass es kaum fassbar ist

Die strukturellen Hürden für die geplante Arbeitszeitflexibilisierung.

Die Ankündigung der designierten ÖVP/FPÖ-Koalition, im Zuge einer „Flexibilisierung und Entbürokratisierung der Arbeitsgesetze“ die Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden täglich und 60 Stunden wöchentlich anzuheben, hat die medialen Wogen hochgehen lassen.

Die einen vermuten kapitalistische Ausbeutung der arbeitenden Klasse, die anderen goutieren die erhöhte Flexibilisierung (auch) zugunsten der Arbeitnehmer. Dabei geht die Diskussion am Thema vorbei. Warum? Weil das österreichische Arbeitszeitrecht so komplex geworden ist, dass es sich kaum mehr fassen lässt.

Es ist nicht nur im Arbeitszeitgesetz (AZG) zu finden, sondern verstreut sich auf eine Vielzahl anderer Gesetze und Verordnungen (so in eigenen Gesetzen für Bäckereiarbeiter oder Krankenanstalten) und die weit über 800 Kollektivverträge in Österreich, ergänzt durch Betriebsvereinbarungen und -übungen, geprägt von Ausnahmen, Verweisen und Vorbehalten, umrahmt von laufend anwachsender Rechtsprechung. All dies in rasanter Entwicklung.

Diese Situation ist letztlich dem Umstand geschuldet, dass die voranschreitende Flexibilisierung der Arbeitszeit weg von „von Mo bis Fr, von acht bis zwölf und 13 bis 17 Uhr“ nicht einfach einer Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer überlassen wurde, sondern alle erdenklichen Formen der Flexibilisierung in allen Details normiert werden.

 

Im Dickicht der Vorschriften

Das hat zur Folge, dass Arbeitgeber (trotz erheblicher drohender Strafen) und Arbeitnehmer laufend Rechtsvorschriften missachten, weil sie sie nicht verstehen, nicht finden oder nicht kennen. Opfer dieser Situation wurde zum Beispiel die seit 1998 bestehende Vorschrift im AZG, wonach die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in einem Durchschnittszeitraum von 17 Wochen 48 Stunden nicht überschreiten darf. Nicht vielen Arbeitgebern und noch weniger Arbeitnehmern ist diese – das aktuelle Vorhaben durchaus relativierende – Bestimmung bekannt, und beachtet wird sie in der Praxis im arbeitszeitrechtlichen Dickicht auch kaum.

 

Verlagerung in die Betriebe

Fast hat es den Anschein, die künftige Regierung selbst hätte diese Beschränkung übersehen. Hätte sie sie auch erwähnt, wäre vielleicht der eine oder andere negative Kommentar ausgeblieben. Daneben finden sich aber auch weitere Regelungen im Arbeitszeitrecht, die unmittelbar oder mittelbar eine legale Ausreizung der Arbeitszeithöchstgrenzen 12/60 verhindern oder maßgeblich erschweren – und sei es nur, weil sie kaum ein Arbeitgeber kennt und versteht. Damit erschiene die geplante Anhebung der Arbeitshöchstzeiten, als ob man den Gordischen Knoten einfach in eine größere Schachtel geben und hoffen würde, er löste sich so.

Im Interesse aller Beteiligten wäre daher eine Vereinfachung der Arbeitszeitregelungen wünschenswert. Folgerichtig wollen ÖVP und FPÖ die Festlegung, wann und wie viel innerhalb der neuen Höchstarbeitszeiten gearbeitet wird, teilweise auf die betriebliche Ebene verlagern. Das bringt die Regelungen mehr zum Anwender und sollte damit die Verständlichkeit verbessern.

Es bedarf jedoch einiger Begleitmaßnahmen, um Auswüchse, vor allem durch übermächtige Arbeitgeber oder mutwillig blockierende Betriebsräte, hintanzuhalten (etwa die Möglichkeit der Anrufung der Schlichtungsstelle wie bei erzwingbaren Betriebsvereinbarungen). Ob die neue Regierung dies gegen den angekündigten Widerstand der Sozialpartner umsetzen kann, bleibt abzuwarten.

Dominik Leiter (*1970) ist Rechtsanwalt in Wien und Partner bei Weisenheimer Legal (Leuthner Leiter Rechtsanwälte). Er ist Experte für Arbeitsrecht.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.12.2017)


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