Knalleffekt in Moskau: Acht Jahre Lagerhaft für Ex-Wirtschaftsminister Uljukajew

Mindestens 15 Kilogramm hat Alexej Uljukajew seit Ende des Vorjahres abgenommen.
Mindestens 15 Kilogramm hat Alexej Uljukajew seit Ende des Vorjahres abgenommen. (c) Imago (ITAR-TASS/Sergei Savostyanov)
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Der Ex-Wirtschaftsminister wurde für schuldig befunden, Bestechungsgeld bei der Privatisierung kassiert zu haben. Zum ersten Mal in der postsowjetischen Geschichte wurde eine Person des obersten Establishments verurteilt. Der Prozess wurde zum Stellvertreterkrieg zwischen Liberalen und Hardlinern.

Mindestens 15 Kilogramm hatte er seit Ende des Vorjahres abgenommen. Und im einjährigen Hausarrest viel alte Literatur gelesen. Als Alexej Uljukajew heute, Freitag, Vormittag zum letzten Mal in Moskau vor Gericht erschien, wirkte er erschöpft und hellwach zugleich. Eine Tasche mit Gewand hatte der 61-Jährige Ex-Wirtschaftsminister vorsorglich schon mal mitgenommen. Und hatte richtig geahnt. Das Gericht verurteilte ihn zu acht Jahren Lagerhaft und 130 Millionen Rubel (1,9 Mio. Euro) Geldstrafe. Noch nie in der postsowjetischen Geschichte war eine Person solchen Ranges verurteilt worden. Aber es könne heute jeden treffen, hatte Uljukajew bei seinem Plädoyer vor einer Woche gesagt: „Es ist sehr einfach geworden“.

Die Schuld bestehe darin, dass Uljukajew „als Amtsperson Bestechungsgeld erhalten hat“, sagte die Richterin: Das Gericht halte Uljukajews Schuld für gänzlich bewiesen. Konkret geht es darum, dass er als damaliger Wirtschaftsminister im Vorjahr zwei Millionen Dollar (1,7 Mio. Euro) von Igor Setschin, dem Chef des staatlichen und landesweit größten Ölkonzerns Rosneft, erpresst habe, nachdem das Wirtschaftsministerium die Teilprivatisierung des sechstgrößten Ölkonzerns Bashneft zugunsten von Rosneft gebilligt hatte.

Das russische Gesetz sieht für derlei Verbrechen ein Strafausmaß von bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug und einer Strafe von 500 Millionen Rubel vor. Die Anklage hatte dies auch gefordert. Das Gericht entschied sich für die Minimalstrafe. Die Verteidigung geht in Berufung.

Uljukajew: "Opfer einer gezielten Provokation"

Faktum ist, dass Uljukajew sich lange gegen die so genannte Privatisierung an einen anderen Staatskonzern gewehrt hatte. Damit war er im Übrigen nicht der einzige im russischen Establishment. So hat Putins oberster Wirtschaftsberater, Andrej Belousow, das Geschäft zwischen zwei Staatskonzernen von Anfang an als „Unsinn“ bezeichnet. Aber Kremlchef Wladimir Putin wollte es anders und hielt seinem langjährigen treuen Begleiter, Setschin, die Stange.

Uljukajew selbst, der vor dem Wechsel ins Wirtschaftsministerium bis 2013 vier Jahre lang Stellvertretender Finanzminister und neun Jahre lang Vizechef der Zentralbank war, hat seine Schuld von Anfang an nicht anerkannt und beteuert, dass er einer gezielten Provokation zum Opfer gefallen war. Selbst in höchsten Kreisen des Establishments wurden Zweifel an der Version des Staatsanwalts geäußert. „Würde man Uljukajew beschuldigen, dass er in der Nacht in Moskau mit einem Geländewagen und mit überhöhter Geschwindigkeit eine alte Frau niedergefahren habe, so würde das glaubwürdiger erscheinen“, empörte sich etwa Alexandr Schochin, mächtiger Chef des russischen Industrie- und Unternehmerverbandes, schon im Vorjahr.

Der erzählte Hergang der Bestechungsaktion hat in der Tat Elemente eines inszenierten Krimis. Setschin und der Inlandsgeheimdienst FSB hatten den angeblichen Erpresser im November 2016 in die Rosneft-Zentrale nahe des Kremls gelockt. Der FSB sprach damals von einem "Ermittlungsexperiment". Uljukajew – das zeigten abgehörte Telefonate später – erschien nur widerwillig in Setschins Konzern. Setschin freilich überreichte ihm einen angeblich versprochenen Geschenkkorb mit Wurst und eine schwere Tasche, in der Uljukajew nach eigener Aussage Weinflaschen vermutete. Tatsächlich enthielt die Tasche zwei Millionen Dollar Bargeld, und Uljukajew wurde festgenommen.

Widersprüchlichkeiten während des Prozesses

Der Prozess, der nach der Verurteilung des einstigen Top-Oligarchen und Ölbarons Michail Chodorkowski vor 13 Jahren der spektakulärste in Russland war und auch im Ausland mit Argusaugen verfolgt wurde, brachte tatsächlich Widersprüchlichkeiten zutage und entlarvte Zeugenaussagen als nicht sehr stichhaltig. Vor allem, dass Telefonmitschnitte bekannt wurden und der Prozess öffentlich geführt wurde, empörte Setschin bis aufs Blut. Er selbst – und das erregte am meisten Aufsehen – erschien trotz wiederholter Vorladungen nicht vor Gericht. Putin rechtfertigte dies am Donnerstag auf seiner großen Pressekonferenz damit, dass es kein Gesetzesverstoß sei, nicht als Zeuge vor Gericht auszusagen. Uljukajew sagte gestern, er werde durchsetzen, dass gegen die Provokation der Bestechung ermittelt werde.

Der Prozess markiert nicht nur einen Meilenstein in der russischen Rechtsprechung, in der heute die Verurteilungsrate über 99 Prozent beträgt und damit das Ausmaß zur Zeit der Stalinistischen Säuberungen übertrifft. Er wärmte ein weiteres Mal und so spektakulär wie nie zuvor die Frage nach etwaigen Grabenkämpfen innerhalb des Establishments auf. Gemeinhin gilt als Tatsache, dass die so genannten Liberalen mit ihrer Befürwortung der Marktwirtschaft den dirigistischen Hardlinern aus Militär und Geheimdiensten gegenüberstehen. Putin kommt aus dem Stall der Letzteren, sieht sich aber als Schiedsrichter zwischen den Gruppierungen. Der studierte Ökonom Uljukajew, der schon Anfang der 1990er Jahren die erste Reformregierung beriet, galt immer als Anhänger einer liberalen Politik.

Vor dem Urteil: "Ich rechne mit einem gerechten Urteil"

Rosneft-Chef Setschin hingegen wird zu einer der führenden Figuren im Lager der Hardliner gezählt. Auffällig ist, dass er seinen Einfluss kontinuierlich ausweitete und von manchen als zweitmächtigster Mann im Staat hinter Putin bezeichnet wird. Jedenfalls wurde der eins privatisierte Ölsektor unter seiner Leitung wieder weitgehend in die Hände des Staates, sprich in die Hände von Rosneft, zurückgeführt. Im Zuge dessen brach der heute 57-jährige Setschin nicht nur den Prozess gegen Uljukajew vom Zaun. Er führt aktuell auch einen Prozess gegen den Mischkonzern Sistema, den vorvorigen Besitzer von Bashnet. Setschin wirft Sistema vor, den Wert von Bashneft gemindert zu haben und verlangt daher 300 Mrd. Rubel Schadenersatz. 136 Mrd. Rubel hat ein Gericht bereits gebilligt, Sistema ist dagegen gerade in Berufung.

Zurück zu Uljukajew. Der Ex-Wirtschaftsminister hat gestern vor der Urteilsverkündung auf Journalistenanfrage kurz kundgetan, womit er rechne: „Mit einem gerechten Urteil“ Und worauf er sich vorbereite: „Auf ein langes und glückliches Leben“, in dem er die Interessen von Menschen verteidigen wolle.

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