Gefängnis

Dienstantritt in der „Endstation Stein“

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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200 offene Stellen gibt es im Justizwachedienst, nur die Bewerber fehlen. In der Justizanstalt Stein ist man überzeugt: Die Beamten sind nicht nur Wärter, sondern auch Betreuer für die Insassen. Macht haben sie trotzdem.

Der Stand muss stimmen. Immer. Zu Dienstantritt wird gezählt: Insassen. Aber auch Dienstwaffen und Schlüssel. Sie liegen feinsäuberlich aufgereiht in 300 Schließfächern im extra abgesperrten Glaskubus neben dem Wachzimmer. Erst wenn alles da ist, geht es los mit dem Tag in der Justizanstalt Stein.

Die fünfzehn Schlüssel hängen schwer am Hüftgurt von Sandra Futterknecht. Einige davon sind beinahe so groß wie die Hand der zierlichen Justizwachebeamtin. Im Gegensatz zu ihrer Waffe hat sie den Schlüsselbund immer mit. Er verleiht der gerade einmal 1,60 Meter großen Beamtin genug Macht, um sich in dem Männergefängnis zu behaupten.

Sieben Jahre ist sie nun schon hier, mit 22 Jahren begann sie die Ausbildung zur Justizwachebeamtin. Es waren pragmatische Gründe, warum sie sich für den Beruf entschieden hat. Ein sicherer Job, durch Nachtdienst- und Gefahrenzulagen gut bezahlt, außerdem kannte sie schon viele, die bereits in Stein tätig waren. Schließlich ist Futterknecht aus der Gegend.

Kein Traumjob?

„Ich will niemanden, der behauptet, die Justizwache sei sein Traumjob“, meint Christian Timm, Leiter der Justizanstalt Stein. Lieber seien ihm „normal tickende Menschen“ mit „echten Gründen“. Solche, die Futterknecht bewogen, ins Gefängnis zu gehen. Bewerber zu finden sei schwierig. Derzeit sind in Österreichs Justizanstalten 200 Stellen ausgeschrieben.

Auch Timm begann als Justizwachebeamter. Nicht, weil er das unbedingt wollte, sondern, weil sein Vater auch einer war. Die Karriereleiter erklomm er trotzdem, über den Offizier zum Anstaltsleiter. Erst in Wien Simmering, später in Stein. Nach Stationen im Justizministerium ist er nun seit September wieder zurück in der „Endstation Stein“.

Denn nach Stein kommen die schlimmsten Fälle des Strafvollzugs – oder „die besten aus Österreich und halb Europa“, wie der Kommandantstellvertreter Walter Schöberl meint. „Und so schnell kommen die auch nicht mehr raus.“ Wer eine Strafe ab 18 Monaten absitzen muss, landet tendenziell im flächenmäßig größten Gefängnis Österreichs. 800 Insassen sind hier untergebracht, nur in der Josefstadt sind es noch mehr.

Auf dem Gang zwischen den Einzel- und Zweierzellen, der den Häftlingen offen steht, bewegt sich Futterknecht gelassen zwischen Mördern und Gewalttätern. Sie versucht, deren Vergangenheit auszublenden: „Von vielen weiß ich gar nicht, was sie genau getan haben.“ Es herrscht ein beinahe kollegialer Umgang zwischen Häftlingen und Beamten. „Das hier ist aber auch die oberste Klasse“, meint Futterknecht: In dem Wohngruppentrakt haben einige Häftlinge sogar einen kleinen Schlüssel für ihre Tür. Entsprechend lang ist die Warteliste für die Einzelzellen.

Die Beamten seien mehr als nur die Wärter mit dem machtvollen Schlüsselbund. Sie seien Betreuer, Ansprechpartner bei Problemen, Ausbildner und für manche Insassen auch die Familie. „Es ist ein bisschen wie Dr. Jekyll und Mr. Hyde“, sagt Timm. Eine Brücke zwischen der Aufgabe zu schlagen, die Insassen auf das Leben „draußen“ vorzubereiten und gleichzeitig die Strafe zu vollziehen, sei die größte Herausforderung am Beruf.

Auf einen Blick

Die Justizanstalt Stein ist mit 800 männlichen Insassen das größte Gefängnis Österreichs im Strafvollzug. 300 Exekutivbedienstete, davon 28 Frauen, sind dort beschäftigt. Wie in allen Justizanstalten herrscht Personalmangel. Rund 200 offene Stellen sind in ganz Österreich ausgeschrieben. Bewerbungen sind noch bis Ende Dezember möglich.
justiz.gv.at/justizwache-onlinebewerbung

Ein Stockwerk tiefer sind die geistig abnormen Rechtsbrecher untergebracht. Stolz zeigt ein Insasse sein nach „Spezialrezept“ präpariertes Brathuhn, das er nun in der Gemeinschaftsküche in den Ofen schieben wird. Erst um 20 Uhr werden die Zellentüren versperrt. Eine davon führt zum wohl bekanntesten Insassen von Stein: Josef Fritzl. Er sitzt nicht, wie man meinen könnte, im Hochsicherheitstrakt. Nicht die begangene Tat bestimmt die Unterbringung, sondern das Verhalten in der Haft.

Die „richtig schweren Jungs“ sind im Hochsicherheitstrakt in 23 Stunden Einzelhaft untergebracht. Auf dem Weg zu ihrem täglichen, einstündigen Ausgang in den Hof werden sie mittels Metalldetektor kontrolliert. Es ist übrigens der einzige Trakt, zu dem auch Futterknecht keinen Zutritt hat: Dort ist es zu gefährlich für Frauen.

Nur nicht zu viel nachdenken

„Ein organisatorischer Albtraum“ sei es, dass der Trakt gerade saniert werde, sagt Schöberl. Denn jede Fremdperson, also auch Maurer und Elektriker, müsse begleitet werden. Das Personal fehle dann anderswo: in den Betrieben, bei den Sportanlagen, die in Folge zugesperrt werden müssten. „Und dann haben die Insassen wieder viel zu viel Zeit zum Nachdenken. Über nichts Gutes.“

300 Kameras schauen in jeden Winkel des Gefängnisses. „Es gibt keine Bewegung, die nicht vom Wachzimmer aus kontrolliert wird“, erzählt Schöberl. Bei Dienstschluss wird dort wieder gezählt. Insassen, Waffen, Schlüssel. „Fehlt einer, geht keiner.“ Erst wenn der Stand stimmt, ist Feierabend.

(Print-Ausgabe, 16.12.2017)

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