EU: Migrationsreform ohne drei

Kommissionschef Juncker (M.) und Tusk, der Präsident des Europäischen Rats (r.), ringen um eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingsfrage.
Kommissionschef Juncker (M.) und Tusk, der Präsident des Europäischen Rats (r.), ringen um eine gemeinsame Linie in der Flüchtlingsfrage.(c) REUTERS
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Polen, Ungarn, Tschechien widersetzen sich der Einsicht der EU-Chefs, dass das Flüchtlingswesen total umgebaut gehört.

Brüssel. Europa wird in den nächsten sechs Monaten erbitterte politische Kämpfe über die Bewältigung der Massenmigration und eine weitere Vertiefung des Misstrauens zwischen westlichen und östlichen Mitgliedstaaten erleben. Das letzte Gipfeltreffen des Europäischen Rates im alten Jahr lieferte einen Vorgeschmack auf die schweren Grundsatzentscheidungen, welche die Regierungen bis Juni 2018 zu treffen sich vorgenommen haben.

24 Regierungen seien sich im Grunde einig, dass das derzeitige Asylsystem umgebaut und ein dauerhaftes Umsiedlungssystem für Flüchtlinge geschaffen werden müsse, ließ eine Quelle, die an der Sitzung vom Donnerstag teilgenommen hatte, „Die Presse“ wissen. Doch Polen, Ungarn und Tschechien widersetzten sich diesem gemeinsamen Befund.

Die Debatte der Staats- und Regierungschefs sei zeitweilig ziemlich emotional verlaufen. „Kern war Feuer und Flamme“, hieß es über die Einlassungen des scheidenden Bundeskanzlers. Er hatte seinem Ärger über die Weigerung Ungarns, Polens, der Slowakei und Tschechiens Luft gemacht, Flüchtlinge im Rahmen des gemeinsam beschlossenen Umverteilungsmechanismus aufzunehmen. Wie sich Österreich unter Bundeskanzler Sebastian Kurz positionieren wird, ist offen. Er erklärte, verpflichtende Flüchtlingsquoten hätten nicht funktioniert: „Ich werde daher dafür eintreten, dass diese falsche Flüchtlingspolitik geändert wird.“

Einheitliche Asylkriterien nötig

„Die Debatte hat auch dazu gedient, die Trennlinien bei der Flüchtlingsverteilung offenzulegen“, hieß es seitens der Brüsseler Quelle. „Am Ende der Debatte war klar, dass es eine Mehrheit von 24 Mitgliedstaaten für ein neues Dublin-System mit einem dauerhaften Umverteilungselement gibt, und dass, falls es bis zum Juni keinen Konsens darüber gibt, eine Abstimmung mit qualifizierter Mehrheit wird sein müssen.“

Wie soll der Umbau des Migrationswesens vonstatten gehen? Einige Elemente sind bereits beschlossen: So sehen die Sichtvermerke für Visainhaber nun unionsweit gleich aus und weisen dieselben Sicherheitsmerkmale gegen Fälschungen auf. Alle Menschen, die an den Außengrenzen der Union eintreffen, werden systematisch über diverse Datenbanken geprüft. Es gibt eine EU-Agentur für Grenzschutz und Küstenwache, die mit mehr als 1400 Beamten die Behörden in Griechenland, Bulgarien, Italien, Spanien und auf dem Balkan unterstützt.

Schwieriger ist die Lage beim Herzstück der Reform, der Dublin-Verordnung und der angepeilten Vereinheitlichung der Asylkriterien. In manchen Staaten erhalten beispielsweise Afghanen nie, in anderen zu 98 Prozent Asyl. „Eine Reform ist nötig, um sicherzustellen, dass wir in der Lage sind, jenen schnell zu helfen, die in Not sind, und jene zurückzuschicken, die es nicht sind“, mahnt die Kommission. Auch die Frage, in welche Drittstaaten man abgelehnte Asylwerber schicken kann, müsse unionsweit vereinheitlicht werden.

All dies könnte mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden, also ohne Zustimmung aller Staaten. Kommissionschef Juncker appellierte am Freitag dennoch daran, Konsens zu erzielen: „Ich bin nicht dafür, diese Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit zu treffen, weil es die Einheit der Mitgliedstaaten bricht.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2017)

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