Gastkommentar

Ehe für alle – oder: Ein Triumph der Verwirrung

Warum in Sachen Ehe der Ball nach dem jüngsten Judikat des Verfassungsgerichtshofs wieder beim Gesetzgeber liegt.

Die Freude bei Vertretern der Lobby der Lesben und Schwulen war groß nach dem jüngsten Judikat des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) in Sachen Ehe. Das ist nachvollziehbar. Denn glaubt man der Presseaussendung des Höchstgerichts, so wird spätestens ab 2019 die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare in Österreich möglich sein.

Aber stimmt das auch? Hat der Verfassungsgerichtshof wirklich gesagt, dass es diskriminierend sei, wenn zwei Personen des gleichen Geschlechts keine Ehe eingehen können? Bei genauerer Betrachtung der Entscheidung kommen da Zweifel. Der VfGH hat beschlossen, dass mit Ablauf des 31. Dezember 2018 die in Paragraf 44 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuchs (ABGB) enthaltene Definition von Ehe geändert werden soll, in dem es künftig heißt:

„In dem Ehevertrage erklären zwey Personen gesetzmäßig ihren Willen, in unzertrennlicher Gemeinschaft zu leben, Kinder zu zeugen, sie zu erziehen, und sich gegenseitigen Beystand zu leisten.“ Weiters hat der Gerichtshof jene Wortfolgen im Gesetz über die Eingetragene Partnerschaft aufgehoben, durch welche diese auf gleichgeschlechtliche Paare beschränkt wurde.

Zwei Interpretationen

Folgt man dem verbleibenden Wortlaut des § 44 ABGB, so bleibt die Ehe unter anderem eine Erklärung über die Absicht zweier Personen, Kinder zeugen zu wollen. Diese Wortfolge lässt zumindest zwei Interpretationen zu.

Entweder hat sich an den Zugangsbestimmungen zur Ehe auch nach dem Erkenntnis des VfGH nichts geändert, da zum Zeugen von Kindern weiterhin die Kombination aus Mann und Frau gefragt ist. Oder der VfGH möchte, dass ab 2019 Verwaltungsbeamte die Erklärung gleichgeschlechtlicher Paare, Kinder zeugen zu wollen, als rechtlich relevant bekunden. Was aber geradezu unmöglich ist, kann nicht Gegenstand eines gültigen Vertrags werden.

Nun kann man durchaus argumentieren, dass auch schon heute Männer und Frauen gemeinsam eine Ehe eingehen können, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr zeugungsfähig sind.

Allerdings wäre im Umkehrschluss das staatlich verordnete Überprüfen der individuellen Zeugungsfähigkeit ein zu großer Eingriff in das Recht auf Privatleben, weswegen es vorzuziehen ist, sich an äußerlich erkennbaren und im Personenstand festgehalten Merkmalen zu orientieren. Zudem zeigt uns die Reproduktionsmedizin, dass weiterhin Samen- und Eizelle notwendig sind, um Kinder zu zeugen, das Alter dabei aber eine immer geringere Bedeutung hat.

Allein aus dieser mindestens zweideutig verstehbaren Wortfolge kann man daher entgegen vielen Meldungen nicht davon ausgehen, dass die causa finita sei. Im Gegenteil, der Gesetzgeber ist weiterhin zur Klärung der Rechtslage verpflichtet.

Welchen Gestaltungsspielraum aber hat er nun? Oder anders gefragt: Ist die rechtliche Nivellierung des Begriffs „Ehe“ Pflicht? Ich denke, Nein. Der VfGH stellt fest, dass die Rechtsinstitute „Ehe“ und „Eingetragene Partnerschaft“ beide einen rechtlichen Rahmen für das gleichberechtigte Zusammenleben von Paaren schaffen, indem sie auf Dauer angelegte stabile Verbindungen institutionalisieren.

Die ursprüngliche Intention des Gesetzgebers, bei Einführung der Eingetragenen Partnerschaft keine „Ehe light“ zu schaffen, sei inzwischen durch die rechtliche Angleichung der beiden Rechtsinstitute nicht mehr erkennbar, da sich Ehe und Eingetragene Partnerschaft weitgehend in der Ausgestaltung ihrer Rechtsfolgen entsprechen. Insbesondere sei auch gleichgeschlechtlichen Paaren mittlerweile die gemeinsame Elternschaft möglich.

Rechtsfolgen bleiben gleich

Die Rechtsfolgen für gemeinsame Kinder seien sowohl in Ehe als auch in der Eingetragenen Partnerschaft gleich. Der VfGH geht also nicht davon aus, dass in Bezug auf Rechtsfolgen noch zwischen verschiedengeschlechtlichen bzw. gleichgeschlechtlichen Beziehungen diskriminiert werde.

Zu seiner Verteidigung sei an dieser Stelle angemerkt, dass der VfGH in diesem Teil seiner Begründung wohl von rechtlicher gemeinsamer Elternschaft spricht, nicht aber von leiblicher Elternschaft im Sinne der Ehedefinition des § 44 ABGB. Denn auch dem VfGH wird klar sein: Es kann nicht Inhalt einer Rechtsnorm sein, dass zwei Männer respektive zwei Frauen gemeinsam in realiter ein Kind zeugen können.

Der Verfassungsgerichtshof folgert sodann, dass eine Differenzierung in zwei Rechtsinstitute aufgrund der fast gleichen Rechtsfolgen heute nicht mehr aufrechterhalten werden könne, ohne gleichgeschlechtliche Paare im Hinblick auf ihre sexuelle Orientierung zu diskriminieren.

Diskriminierende Wirkung

Die durch die Trennung in zwei Rechtsinstitute verursachte diskriminierende Wirkung zeige sich darin, dass durch die unterschiedliche Bezeichnung des Familienstands Personen in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft auch in Zusammenhängen, in denen die sexuelle Orientierung keinerlei Rolle spielt und spielen darf, diese offenlegen müssten. Dadurch würden sie, insbesondere auch vor dem historischen Hintergrund, Gefahr laufen, diskriminiert zu werden. Deswegen verstoße die gesetzliche Trennung verschiedengeschlechtlicher und gleichgeschlechtlicher Beziehungen in zwei unterschiedliche Rechtsinstitute gegen das Verbot, Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung zu diskriminieren.

Die diskriminierende Wirkung erfolgt also nicht durch den Ausschluss von der Möglichkeit, eine Ehe einzugehen, sondern aufgrund der automatischen Offenlegung der homosexuellen Beziehung durch die Beschränkung der Eingetragenen Partnerschaft auf gleichgeschlechtliche Paare.

Der Gesetzgeber ist demnach nicht gezwungen, den weiterhin tief verwurzelten Begriff „Ehe“ als Verbindung von Mann und Frau rechtlich zu nivellieren. Das Parlament kann vielmehr mit einfacher Mehrheit beschließen, dass die Ehe inklusive ihrer Absicht zur leiblichen Elternschaft nur der Verbindung von Mann und Frau vorbehalten bleibt, solange die Eingetragene Partnerschaft sowohl für verschieden- wie auch gleichgeschlechtliche Beziehungskonstellationen zugänglich ist.

Berechtigte Sorgen

Denn solange es ein Partnerschaftsinstitut gibt, durch welches es nicht zur automatischen Offenlegung einer homosexuellen Beziehung kommt, kann der Gesetzgeber den – berechtigten oder auch unberechtigten – Sorgen des Höchstgerichts vor einem rechtlich angeordneten Zwangsouting homosexueller Beziehungen begegnen. Und nicht nur das!
Er würde damit auch den Spagat schaffen, sowohl dem VfGH als auch dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu entsprechen, der wiederholt und gerade eben erst wieder festgestellt hat, dass es nicht diskriminierend ist, den Begriff der Ehe ausschließlich für die Verbindung von Mann und Frau aufrechtzuerhalten.

DIE AUTORIN

Dr. Stephanie Merckens (* 1976) ist ausgebildete Rechtsanwältin. Sie ist Referentin für Bioethik und Lebensschutz sowie Beiratsmitglied des Instituts für Ehe und Familie der österreichischen Bischofskonferenz. Mitglied im Familienbeirat des Landes Oberösterreich, Mitglied im Kollegium des Landesschulrates in Oberösterreich und Mitglied der Bioethikkommission des Bundeskanzlers.

E-Mails an: debatte@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2017)

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