Der Jänner, ein Monat der Gewalt

In den ersten Tagen des neuen Jahrs hat sich die Zahl der Verbrechen gehäuft. Ein Kriminalpsychologe versucht die entscheidende Frage zu erklären: Warum?

wien. Ein Polizist wird bei der Routinekontrolle eines Autofahrers niedergeschossen und lebensgefährlich verletzt; die Haushälterin des libanesischen Botschafters in Wien wird ermordet; eine junge Frau sticht ihren Freund aus Eifersucht nieder und verletzt ihn lebensgefährlich; dazu kommen Trennungen, die mit einem Todesopfer oder Gewaltakten enden – gefolgt von einer Serie von Trafiküberfällen, ebenfalls mit einem Todesopfer. Was ist los mit dem Jänner 2010?

„Die Presse“ befragte dazu den Kriminalpsychologen Reinhard Haller. „Der Jänner hat generell einige Risikofaktoren, die das erklären können“, meint Haller. Das habe nichts mit Biorhythmus oder Ähnlichem zu tun, sondern mit sozialen Faktoren: „Im Jänner ist die Arbeitslosenquote auf dem höchsten Stand des Jahres. Und Arbeitslosigkeit ist ein Risikofaktor für jede Form der Gewalt.“

Weitere Risikofaktoren: Zu Jahresbeginn sei bei vielen Familien die finanzielle Situation am angespanntesten – weil zu Jahresbeginn normalerweise viele Zahlungen anstehen und sich zahlreiche Familien bei Weihnachtsgeschenken finanziell übernommen hätten; was Haller als „finanziellen Notstand“ bezeichnet: „Diese sozialen Risikofaktoren spielen eine gewisse Rolle.“

Frauen schlagen Männer

Eine andere Erkenntnis: Zu Jahresbeginn, also mitten im Winter, steigt traditionell das Aggressionspotenzial. „Es gibt weniger Aufenthalt im Freien, weniger sportliche Aktivitäten als im Frühling, Sommer oder Herbst, was eher zu einem Aggressionsstau führt“, meint der Experte. Was die Situation hier verschärft: „Licht hat einen aggressionslösenden Effekt.“ Anders formuliert: Bei längeren Dunkelphasen, wenn wochenlang der Nebel über der Stadt und dem Land hängt, steigt die Aggression.

Ein interessanter Aspekt: Während früher de facto ausschließlich Männer für Gewalttaten verantwortlich waren, haben sich Frauen hier (teilweise) emanzipiert – wenn auch die überwiegende Mehrheit der Gewalttaten weiterhin von Männern begangen wird. Haller: „Aus Forschungen wissen wir, dass das generelle hormonelle Muster, der Unterschied, nachdem Männer aggressiver als Frauen sind, nicht so groß ist wie gedacht.“ Weshalb sich das bisher nicht in der Statistik dargestellt hat? Die Wissenschaft sei bisher von falschen Zahlen ausgegangen, so Haller: „Welcher Mann gibt schon zu, dass er von seiner Frau geschlagen wird?“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2010)

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