Schweden: „Vertragsschluss“ vor dem Sex

Stefan Löfven.
Stefan Löfven.(c) APA/AFP/POOL/FRANCOIS LENOIR (FRANCOIS LENOIR)
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Sexualstrafrecht vor massiver Verschärfung: Die Partner müssen vor jedem Mal explizit um Erlaubnis bitten und sie auch erhalten. Sonst könnte Vergewaltigung vorliegen.

Die „#meetoo“-Kampagne gegen (angebliche) sexuelle Übergriffe hat besonders in Schweden riesige Wellen geschlagen: Die sich explizit als „feministisch“ bezeichnende rot-grüne Regierung will nun die Gesetze für Sexualdelikte bis zum Sommer radikal verschärfen: So soll ein Gesetz vorsehen, dass man aktiv um eine Erlaubnis für Sex bitten und eine solche auch ausdrücklich erhalten haben muss. Sonst soll ein Verfahren wegen Vergewaltigung drohen, auch ohne dass es zu Streit, Zwang, Drohung oder anderen Formen der Gewalt gekommen wäre.

„Die Botschaft ist einfach“, sagte Regierungschef Stefan Löfven in einer Weihnachtsrede. „Du musst dich bei der Person, mit der du Sex willst, erkundigen, ob sie Sex will. Bist du dir unsicher, musst du es lassen. Sex muss freiwillig sein. Ist er nicht freiwillig, ist er illegal.“ Die Pflicht zum Einholen der Erlaubnis solle sich nicht nur an Männer in heterosexuellen Beziehungen richten, sondern für Alle gelten, also auch für homosexuelle Kontakte und Frauen – und unabhängig davon, ob es sich um einen „Erstkontakt“ unter mehr oder weniger Fremden oder langjährige Beziehungen handelt, inklusive Ehen.

Ein Vertrag vor jedem Mal?

Eine mündliche Genehmigung soll ausreichen. Wer sicher gehen will, sollte sich aber etwas Schriftliches geben lassen, kommentierten Schweden in Internetforen: Damit könne man im Streitfall, der vielleicht erst Jahre später einsetze, grundlose absichtliche Beschuldigungen bekämpfen.

Stellungnahme der schwedischen Botschaft

Der Unterschied zur bisherigen Gesetzgebung besteht darin, dass zukünftig jede sexuelle Handlung, die nicht im gegenseitigen Einverständnis geschieht, strafbar wird. Bislang setzt der Tatbestand der Vergewaltigung die Anwendung von Gewalt oder Bedrohungen voraus. Zudem wird die Mindeststrafe für schwere Vergewaltigung sowie schwere Vergewaltigung von Kindern von vier auf fünf Jahre Gefängnis erhöht.

Die aktuelle Gesetzgebung sieht vor, dass Opfer von sexuellen Übergriffen ihren Widerstand durch Worte oder Handlungen deutlich zum Ausdruck gebracht haben müssen.

Die nun vorgeschlagene Gesetzgebung möchte die Opfer von dieser Verantwortung befreien und stattdessen die Angeklagten stärker in die Pflicht nehmen: Wie haben sich die Angeklagten von der Freiwilligkeit ihrer Sexualpartner/-innen überzeugt? Passivität soll damit nicht länger als stilles Einverständnis interpretiert werden können.

Die Unschuldsvermutung gilt selbstverständlich weiterhin. Entgegen vielen Medienberichten ist das Einholen einer schriftlichen Einverständniserklärung nicht erforderlich.

>>> Zur Seite der schwedischen Botschaft in Berlin

Das Einverständnis-Gesetz wäre das erste seiner Art weltweit. Alle Parlamentsparteien stehen bisher dahinter. Damit sollen mehr Verhaltensweisen als bisher als Vergewaltigung eingestuft werden. Neue Tatbestände werden damit eingeführt, nämlich die „unachtsame Vergewaltigung“ und der „unachtsame sexuelle Übergriff“. Bereits jetzt ist die Gesetzgebung dazu scharf: So wurde etwa nach WikiLeaks-Gründer Julian Assange wegen Verdachts auf „weniger grobe Vergewaltigung“ gefahndet. Grund: Er hatte kein Kondom benutzt. Dass die betreffenden Frauen den Sex mit Assange aber grundsätzlich als „einvernehmlich“ beschrieben, war egal.

Jobverluste nach anonymen Vorwürfen

In Schweden tobt die #metoo-Kampagne heftiger und folgenschwerer als anderswo. Jeden Tag behaupten Hunderte Frauen in sozialen und klassischen Medien namentlich oder anonym, sie seien missbraucht worden. Oft habe Alkohol eine Rolle gespielt, sie seien sonst „wehrlos“ oder psychisch nicht fähig gewesen, sich zu wehren; viele sagen, sie seien zwar klar bei Bewusstsein gewesen, aber psychisch „einfroren“. Zudem würde Frauen oft auch erst Tage oder Wochen später bewusst, dass sie eigentlich missbraucht worden seien.

Eine der problematischen Folgen dieser Welle ist, dass zahlreiche Männer in allen möglichen Branchen entlassen wurden, nachdem führende Zeitungen sie namentlich in Artikeln erwähnt hatten, wo auch anonym gehaltene Frauen sie teils Jahrzehnte zurückliegender Übergriffe bezichtigten.

„Züge von Stalins Säuberungen“

Die öffentliche Kritik an dem neuen Phänomen ist seltsam leise. Das dürfte gute, aber befremdliche Gründe haben: Als ein älterer Kolumnist der Zeitung „Aftonbladet“ schrieb, führende Medien Schwedens würden das Prinzip der Unschuldsvermutung bis zur rechtskräftigen Verurteilung ignorieren, und eine „Hexenjagd mit Zügen von Stalins Säuberungsaktionen“ sah, wurde er gefeuert.

Deklarierte Gegenstimmen gegen das anstehende Gesetz gibt es fast nur von Juristen. „Bei jeder neuen sexuellen Handlung muss also immer wieder um Erlaubnis gebeten werden. Erwachsene wissen aber doch, dass man nicht vor jedem Akt verhandelt und einen Vertrag schließt“, kritisierte etwa Anne Ramberg, Chefin des Anwaltsverbundes. Es werde in der Rechtspraxis auch sehr schwer sein, zu definieren, was als Eindruck von Freiwilligkeit gewertet werden kann.

„Es besteht das Risiko der Rechtsunsicherheit“, warnt Ramberg. Selbst Premier Löfven sagte, er wisse, dass in der Praxis weiter meist Wort gegen Wort bei Sexualprozessen stehen werde. Aber man denke, dass diese „pädagogischen“ neuen Vorschriften ein „Umdenken gerade bei Männern“ bewirken würden. Die müssten lernen, dass man Frauen nicht zum Sex überreden darf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2017)

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