Merk's Wien

Weihnachtsgeschäft '45 und heute Als es noch kein Goldquartier gab

Was aus dem Wunsch des ersten österreichischen Bundeskanzlers Leopold Figl geworden ist.

Das Licht ist wieder einmal ausgegangen. Es verlöschte oft in diesen Tagen vor Weihnachten 1945. „Das war das Christkind“, tröstete meine Mutter. Aber immerhin hatten wir es halbwegs warm in unserer Wohnung im fünften Wiener Gemeindebezirk, die wir nach einem halben Jahr wieder beziehen konnten. Sie war zum Glück unversehrt geblieben, während wir im Salzburgischen die letzten Kriegsmonate überdauert hatten. Ich war dreizehn, als wir in das halb zerstörte Wien zurückkehrten, wo der Strom zeitweilig ausgefallen war und auch sonst die Versorgung kaum klappte. Ausgerechnet zu Weihnachten 1945.

Auch wir Halbwüchsigen hatten getan, was Leopold Figl, Bundeskanzler seit dem 20. Dezember 1945, den Österreichern und Österreicherinnen ans Herz gelegt hatte. Wir sollten auf alles das verzichten, was ohnehin nicht greifbar war, und ihm nur einen Wunsch erfüllen: „Glaubt an dieses Österreich!“

Ich habe das geglaubt, obwohl Weihnachten 1945 nicht viel anderes zu bieten hatte als ein Kripperl zu Hause und ein Hochamt in der Kirche. Auch für mich Dreizehnjährigen gab es nichts Weihnachtliches, außer einer papierenen Liegestatt für den neugeborenen Heiland. Geschäfte, die unversehrt geblieben waren, hatten wenig feilzubieten, außer „Ersatz“, vom Krieg übriggeblieben.

Trotzdem: Auch wir Buben glaubten an dieses Österreich, von dem wir kaum den Namen im Geiste behalten hatten. Immerhin habe ich, wiewohl Judenstämmling, zwei Jahre lang im „Deutschen Jungvolk“ mitgemacht, bis alles in Pulver, Feuer und Rauch zerstoben war.


Was uns aufrecht hielt, auch die Halbwüchsigen beiderlei Geschlechts, war die Hoffnung, dass es nach der Stunde null wieder aufwärts gehen würde, weil es aufwärts gehen musste. Und so war es auch. Die Zeitzeugen werden zwar immer weniger, aber jene, die noch am Leben sind, werden diese Zeit nie vergessen. Aber auch nicht, dass seither alles wieder ist, wie es einmal war – nur besser, schöner, prunkvoller.

Ich meine die Geschäfte. Dass es in Wien einmal ein sogenanntes „Goldenes Quartier“ geben würde, dessen Geschäftslokale es mit ähnlichen in Paris, London und Rom, sogar Prag und Budapest durchaus aufnehmen können, hat zu Weihnachten 1945 niemand geahnt. Unter den Handelsfirmen sind freilich viele Filialen dabei, deren Hauptetablissements sich nicht in der Innenstadt, sondern am Stadtrand befinden.

Und dies führt dazu, dass in den letzten Jahren immer mehr Lokale in den Innenbezirken schließen müssen oder notgedrungen den Besitzer wechseln, was in vielen Fällen zur Folge hat, dass es von Mal zu Mal mehr ehemalige Geschäftsstraßen gibt, die heute nicht mehr das sind, was sie einmal waren. Die einstigen Modegeschäfte oder Geschirrhandlungen, die früheren altbekannten Lebensmittelhandlungen und Buchgeschäfte werden dann in Andenken- und Kitschläden umgewandelt. Zugunsten des Hauseigentümers.

Den Vorteil haben die am Rand der Außenbezirke liegenden Supermärkte jeder Branche und Façon, die vielerorts sogar zu ganzen Vergnügungszentren geworden sind. Die Hoffnung von 1945 hat sich demgemäß nach der Renaissance der reichhaltigen Einzelgeschäfte wieder in Galerien blinder Auslagen verwandelt. Die Zukunft ist ungewiss.

Der Autor war langjähriger Chefredakteur und Herausgeber der „Presse“.

Emails an: thomas.chorherr@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2017)

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