ABER glaube

Diese Sexfrage haben alle Autoren vergessen

Schweden sollen künftig explizit um Beischlaferlaubnis bitten müssen. Haben Romeo und Julia etwas versäumt?

Es klingt wie ein Aprilscherz, soll aber verantwortungsvolle Politik der Gegenwart sein. Wer in Schweden künftig Sex mit einer anderen Person haben will, muss diese in Worten ausdrücklich um Erlaubnis ersuchen und diese bekommen. Zumindest riskiert man den Vergewaltigungsvorwurf, wenn man es nicht tut (oder das Getane nicht nachweisen kann). Das geplante Gesetz ist eine Reaktion auf MeToo und soll sogar zwischen Ehepartnern gelten.

Die ohnehin immer heikler werdende Kunst des Indirekten auf dem Weg zum Liebesakt wäre dann restlos beseitigt. Und die Realität unerschöpflicher Kabarettstoff. Wie grotesk erst würden aber, solchen Bedingungen unterworfen, die großen Liebesspiele in der Kunst, wo mehr als irgendwo sonst die Kunst der „Halbworte“ regiert, der Sätze, die anderes meinen, als sie bedeuten, der Zwischentöne, der feinsten Zeichen?

Man müsste dann zum Beispiel nachprüfen, ob Hans Castorp in Thomas Manns „Zauberberg“ Madame Chauchat um Sex-Erlaubnis gebeten hat beziehungsweise umgekehrt sie ihn. Man erfährt ja nur, dass sie ihn drängt, den „Crayon“ zurückzubringen, auf ihr Zimmer, und später, dass Castorp ihrem Wunsch nachgekommen ist. Ging hinter der Zimmertür alles korrekt zu? Unglaublich, was Thomas Mann wagt, uns alles vorzuenthalten. Und Flaubert erst! Emma Bovary hatte doch noch ein wenig gezögert, sich mit ihrem Geliebten, Léon, in die Kutsche zu setzen, für eine intime, nur scheinbar ziellose Fahrt kreuz und quer durch Rennes. Hat Leo sie in der Kutsche „Willst du mit mir Sex haben?“ gefragt? Auch Tristan und Isolde haben das versäumt, oder Romeo und Julia: Ein „Ich liebe dich“ bedeutet kein Einverständnis zum Sex! Schrecklich auch Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“, da schleichen zwei in Worten begehrlich umeinander herum, bevor sie unvermittelt übereinander herfallen . . .

„Da wagt's mein Arm, sie zu umschließen. Sie ließ es zu. Da wagt's mein Mund, die weiße Brust zu küssen. Sie ließ es zu“ – wie lang Goethe wohl noch im Internet zitiert werden darf?

anne-catherine.simon@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.12.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.