"Presse"-Krimikritiker Peter Huber hat aus der Flut der Neuerscheinungen zehn außergewöhnliche Kriminalromane ausgewählt.
03.01.2018 um 11:46
"Die Presse"-Krimikritiker Peter Huber stellt zehn Krimis und Thriller vor, die 2017 (auf Deutsch) erschienen sind. Das Jahr 2045. Daniel Suarez wirft mit "Bios" einen Blick in die Zukunft, den man sich teilweise gern ersparen würde: Das Zeitalter der Technik ist längst Geschichte, die biologische Moderne ist angebrochen. Gen-Kriminalität ist zu einem großen Problem geworden. Kenneth Durand von Interpol jagt der Verbrecherboss Marcus Demang Wyckes. Bis er eines Tages im Körper seines Feindes erwacht. Er hat die DNA jenes Mannes, den er jagt. Suarez erzählt rasant und lehrt das Gruseln ansgesichts jener Dinge, die in naher Zukunft möglich sind. Über erzählerische Schwächen kann man da hinwegsehen. Daniel Suarez: "Bios", übersetzt von Cornelia Hollfelder-von der Tann, Rowohlt Verlag, 544 Seiten, 13,40 Euro.
(c) Rowohlt
Der Lange Marsch ist der Schlüsselmythos der chinesischen Kommunistischen Partei. Tatsächlich war der militärische Rückzug der Roten Armee vor Chiang Kai-sheks Truppen vor allem eines: ein Todesmarsch. Von den 80.000 Menschen, die sich auf den Weg machten, überlebten 8000. Der österreichischen Autorin Clementine Skorpil dienen die historischen Geschehnisse aber eigentlich nur als Rahmen, um eindringlich über die Schicksale von Menschen in Not zu erzählen. Wunderbar ist vor allem die Sprache der Autorin. Dadurch gelingt es ihr, eine nicht-westliche Sicht auf die Dinge zu vermitteln. Die große Kunst der Autorin besteht darin, durch kleine Geschichten große Geschichte begreifbar zu machen. Clementine Skorpil: "Langer Marsch", Löcker Verlag, 304 Seiten, 24,80 Euro.
(c) Löcker
Von Kritik und Lesern wurde die trashige Hades-Trilogie ("Hades", "Eden", "Fall") der australischen Krimiautorin Candice Fox gefeiert. Nun legt sie einen neuen Thriller nach, der erhebliches Kult- und Serienpotenzial besitzt. In "Crimson Lake" ermitteln ein Kinderschänder (so sieht es die Öffentlichkeit) und eine verurteilte Mörderin im Fall eines von einem Krokodil gefressenen Autors. Das Bemerkenswerte: Das Buch liest sich schräg und sensibel zugleich. Mittelmaß ist definitiv nichts für Fox. Entweder man liebt sie oder man hasst sie. Candice Fox: "Crimson Lake", übersetzt von Andrea O'Brien, Suhrkamp-Verlag, 380 Seiten, 16,50 Euro.
(c) Suhrkamp
Der Autorin gelingt es immer wieder auf faszinierende Weise, gesellschaftliche Phänomene aufzugreifen und dann mit einer wilden, eigenwilligen, ausufernden Geschichte zu vermischen. Ihre Bücher leben vor allem von dem nicht immer ganz verständlichen, oft widersprüchlichen und daher sehr authentischen Innenleben der Hauptfigur. Chastity Riley ist eine völlig unangepasste, eigenwillige Frau, die sich in keine der üblichen Schubladen einordnen lässt. Diesmal bekommt sie es mit einem besonderen Fall zu tun: Vor einem Verlagsgebäude steht eines Morgens ein Käfig. Darin liegt nackt, misshandelt und betäubt ein Manager des Verlags. Simone Buchholz: "Beton Rouge", Suhrkamp Nova, 230 S., 15,90 Euro.
(c) Suhrkamp
Die österreichische Autorin Alex Beer überzeugt mit ihrem historischen Krimidebüt »Der zweite Reiter« in allen Belangen. August Emmerich hat es nicht leicht: Nicht nur muss er mit den Folgen einer schweren Kriegsverletzung kämpfen, gleichzeitig muss er diese im Polizeidienst auch verheimlichen, weshalb er zu Schmerzmitteln aller Art greift. Und auch sein privates Glück löst sich plötzlich in Luft auf. Als er im November 1919 die Leiche eines angeblichen Selbstmörders entdeckt, hat er erhebliche Zweifel, was ebenfalls für Probleme sorgt. Es sind wie bei vielen gelungenen (zeit-)historischen Kriminalromanen die alltäglichen Kleinigkeiten, die neben einer spannenden Geschichte für Authentizität sorgen. Alex Beer: "Der zweite Reiter", Limes Verlag, 383 Seiten, 20,60 €.
(c) Limes
Endlich wird der große britische Thrillerautor Gerald Seymour - nach mehr als 15 Jahren Pause - wieder ins Deutsche übersetzt. "Vagabond" ist ein ehemaliger britischer Geheimagent, der in Nordirland einst brutale Operationen gegen die IRA durchgeführt hat. Nun wird der Mann reaktiviert. Seymour schildert aus vielen Perspektiven und macht klar, dass es im globalen Spiel der Geheimdienste eigentlich nur Verlierer gibt. Alle Beteiligten sind nur kleine Rädchen im System. Das Buch erklärt mehr über den Nordirland-Konflikt als die meisten Sachbücher. Gerald Seymour: "Vagabond", übersetzt von Zoë Beck und Andrea O'Brien, Suhrkamp Verlag, 498 Seiten, 15,50 Euro.
(c) Suhrkamp
"Moorbruch" ist ein wunderbarer Kriminalroman, der von lebensechten Charakteren, kargen Landschaften und einer außergewöhnlichen Handlung mit zahlreichen Wendungen lebt. May ist ein begnadeter Erzähler, das spürt man schon nach wenigen Seiten. Hat er einen einmal gepackt, lässt er einen auch nicht mehr los. Worum es geht? 17 Jahre sind vergangen, seit Roddy Mackenzie verschwunden ist. Doch ein Moorbruch fördert das Wrack von Mackenzies Flugzeug zu Tage. Ex-Polizist Fin Macleod (um den sich die Serie dreht), der Mackenzie einst kannte, beginnt zu ermitteln. Dabei verwebt der Autor gekonnt teilweise zwei Jahrzehnte zurückliegende Ereignisse mit aktuellen Geschehnissen. Er entschlüsselt überzeugend ein in der Vergangenheit liegendes Geheimnis. Peter May: “Moorbruch”, übersetzt von Silvia Morawetz, 333 Seiten, Paul Zsolnay Verlag.
(c) Zsolnay
David Whish-Wilsons "Die Ratten von Perth", Auftakt zu einer Krimi-Trilogie, liest sich fast wie die Gegenthese zu den schrillen Thrillern seiner Kollegin Candice Fox (Platz 8). Der Autor überzeugt durch die unaufgeregte, realistische Erzählung eines Kriminalfalls im Perth des Jahres 1975: Die Besitzerin eines Luxusbordells ist ermordet worden, die Verdächtigen sind Polizisten. Nur Superintendent Frank Swann scheint an der Wahrheit interessiert. Whish-Wilson porträtiert einen Aufrechten, der gegen ein allgegenwärtiges korruptes System ankämpft. Das geht unter die Haut. David Whish-Wilson: "Die Ratten von Perth", übersetzt von Sven Koch, Suhrkamp-Verlag, 297 Seiten, 10,30 Euro.
(c) Suhrkamp
Mit Bettina Boll, der Teilzeitpolizistin, hat Autorin Geier eine Figur erschaffen, die auch nach der Lektüre nicht gleich wieder verschwindet. Geier ist eine großartige, vielschichtige Erzählerin, die mit einem ausgeprägten Gespür für Details viel über unsere Welt zu sagen hat. Sie formuliert pointiert und zeichnet ihre Charaktere sehr feinfühlig. Ihre Dialoge sind aus dem Leben gegriffen. Ausgerechnet in einem Vorstadtbordell wird Bolls ehemaliger Kollege Ackermann von einer jungen Prostituierten erschossen. Als die Täterin kurz darauf in einer Schule eine weitere Bluttat begeht, wird alles immer rätselhafter. Monika Geier: "Alles so hell da vorn", Ariadne Verlag, 415 Seiten, 13,40 Euro.
(c) Argument
Die eigentliche Hauptrolle in Antonin Varennes Kriminalroman "Die Treibjagd" spielt der Schauplatz: R., ein Ort im Zentralmassiv. Seit Generationen kämpfen dort zwei einflussreiche Familien um die Herrschaft. Über die Jahre haben sie alle kleinen Bauernhöfe aufgekauft, die Gegend mehr oder weniger zweigeteilt. Bloß Revierjäger Rémi Parrot, der seit einem Unfall entstellt ist, lässt sich von keiner Seite vereinnahmen. Er ist der einsame Held, wie man ihn aus amerikanischen Western kennt - mit ganz eigenem Moralkodex. Varenne seziert erbarmungslos die Strukturen kleinstädtischen Lebens, ohne dieses zu verdammen. Mit viel Feingefühl für seine Figuren und einem scharfen Blick für Details. Antonin Varenne: "Die Treibjagd", übersetzt von Susanne Röckel, Penguin-Verlag, 302 Seiten, 10,30 Euro. >>>Zum Krimiblog crimenoir
(c) Penguin
Top 10: Die besten Krimis 2017
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