Hänsel und Gretel brauchen keine Pädagogik

Bubenhaft draufgängerisch: Margaret Plummer als Hänsel, mit Chen Reiss als Gretel.
Bubenhaft draufgängerisch: Margaret Plummer als Hänsel, mit Chen Reiss als Gretel.(c) Staatsoper/Michael Pöhn
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Adrian Nobles Inszenierung lässt Engelbert Humperdincks Märchenoper ihre seelischen Tiefen. Patrick Lange führt kundig durch den Wald – und lässt hören, wie nahe der Komponist an seinem Vorbild Richard Wagner war.

Alle Jahre wieder verirren sich Hänsel und Gretel im Wald – seit die Staatsoper Engelbert Humperdincks Märchenoper nach Jahrzehnten der Abstinenz wieder ins Programm genommen hat, stürmen zur Weihnachtszeit Kinder auch das Haus am Ring; zumindest wenn eine Nachmittagsvorstellung avisiert ist. Und sie verfolgen die Vorgänge auf der Bühne beinah mucksmäuschenstill, was nur beweist, wie gut dieses Stück ist; und wie liebenswert falsch alle seit mindestens zwei Generationen unternommenen Versuche, Theater speziell für den Nachwuchs zu arrangieren.

Denn Humperdincks Oper ist fern von jeglichen Konzessionen oder auch nur Vorahnungen jener pseudopsychologischen Musiktheater-Pädagogik, die heute en vogue ist. Das Märchen wird ohne politisch korrekte Adaptionen erzählt, die Hexe wird verbrannt und wenn sie hernach als frisch gebackener Lebkuchen hereingetragen wird, lacht das ganze Auditorium; wie es zuvor auch alle Spielarten von Traumeswirren und nächtlichem Waldweben aufgenommen hat: wachen Sinnes und offen für alle Tiefen seelischer Geheimnisse, zu denen Mythen, Märchen und die Kunst vordringen, während die Freud-Jünger ja bestenfalls knapp unter die Oberfläche jener „wirklichen Welt“ kommen, in der sie längst die Macht übernommen haben.

Eingedampfte „Meistersinger“-Version

Am tiefsten, weil wortlos, unvermittelt schürft wohl die Musik. Und da sich Humperdinck, ein bestens ausgebildeter musikalischer Handwerker, Richard Wagner zum Vorbild genommen hat, eröffnet sie uns in „Hänsel und Gretel“ eine Wunderwelt, die weiß Gott nicht nur die jüngsten Opernbesucher in ihren Bann schlägt. Zumal Adrian Noble für Wien im wahrhaft märchenhaften Ambiente Anthony Wards die Geschichte erzählt, als würde ein Märchenbuch lebendig. Und weil das Staatsopernorchester die vom Komponisten gestellte Aufgabe, eine Art freundliche, auf zwei Stunden Spielzeit eingedampfte Variation der „Meistersinger“-Musik aufzuspielen, mit spürbarer Freude löst: Patrick Lange führt kundig durch den Wald, so lässt sich ungestört musizieren, nicht immer rhythmisch wirklich perfekt zugespitzt, aber klangschön, ein tönendes Ebenbild der pittoresken Kulisse.

Dämonische Farben im „Hexenritt“

Drin geben Donna Ellen die kratzbürstig frustrierte Mutter und Adrian Eröd den Peter Besenbinder, der auch im Suff nie den letzten Schuss Gutmütigkeit verliert und den Hunger als „besten Koch“ mit baritonalem Wohllaut besingt, um dann zur Beschwörung des „Hexenritts“ dämonischere Farben abzumischen. Auf exzellentem Niveau auch die beiden Kinder, Margaret Plummers Hänsel, bubenhaft draufgängerisch im Spiel wie im volltönenden Mezzo, und die Gretel der Chen Reiss, unwiderstehlich in ihrem Jungmädchencharme. Ihre lichten Soprantöne finden in den sanft schimmernden Sopran-Tönen Brynony Dwyers ein edelstimmiges Echo: Das Debüt der jungen Tasmanierin als Sand- und Taumännchen gelang brillant.

Neu ist auch die Knusperhexe, Monika Bohinec gibt sie mit spürbarer Spiellust und im Zuge der diversen Zaubereien zuweilen mächtig anschwellendem Ton. Das sorgt nebst der engagierten Leistung der Kinder der Opernschule und der Studenten der Ballettakademie der Staatsoper für einen rundum beglückenden Abend. Oper für Connaisseurs und solche, die es werden möchten.

Termine: 30. 12., 2. 1., jeweils 19 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2017)

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