Auf der Kriechspur zur Zinswende

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Während die US-Notenbank 2018 infolge der Steuerreform vielleicht mehr als die angekündigten drei Zinsschritte macht, dürfte sich in Europa an der Null-Zinspolitik nichts ändern.

Frankfurt. So schnell weicht Mario Draghi nicht von seinem Kurs ab: Nachdem die US-Notenbank Fed Mitte Dezember die Zinsen zum dritten Mal in diesem Jahr erhöht hatte, machte der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht einmal eine Andeutung in diese Richtung. Dabei spricht viel für eine Zinswende – und die Drosselung der lockeren Geldpolitik. Denn die Prognosen lauten auf einen nachhaltigen Konjunkturaufschwung. Auf Draghi wartet 2018 daher eine Herkulesaufgabe. Er muss die Finanzmärkte auf die Entwöhnung von den jahrelangen Geldspritzen vorbereiten, ohne Börse-Turbulenzen auszulösen. Zudem muss er entscheiden, ob er den immer lauteren Rufen nach einer Kursänderung nachgibt.

Faktum ist: die Zinsschere zwischen der EU und den USA wird 2018 noch weiter aufgehen. Die Steuerreform könnte der US-Wirtschaft zusätzlich Schub geben und die Fed einen noch strafferen Kurs einschlagen. Bisher wurden drei weitere Zinserhöhungen angekündigt. Jetzt liegt der Leitzins in den USA bei 1,25 bis 1,5 Prozent, in Europa stagniert er bei Null.

Draghi hat ein wichtiges Argument: Die Inflationstrends signalisieren kaum, dass die Preise im Sog des Aufschwungs stärker klettern. Selbst für 2020 rechnen EZB-Ökonomen mit einem Preisanstieg von 1,7 Prozent. Ihr Ziel von zwei Prozent würde selbst Anfang des nächsten Jahrzehnts verfehlt.

Kritik wird lauter

Nach Ansicht von Jan Bottermann, Chefvolkswirt der National-Bank, wird sich daher der Konflikt um eine angemessene Geldpolitik im Euroraum 2018 zuspitzen: „Für die nordeuropäischen Länder wären deutlich höhere Zinssätze angemessen, die strukturellen Probleme in Südeuropa können hingegen durch niedrige Zinsen entschärft werden.“ Draghis Mantra lautet daher: „Ein umfangreiches Ausmaß an geldpolitischem Stimulus bleibt notwendig.“ Genau das wird vor allem in Deutschland immer kritischer gesehen.

Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer meint, der schwache Preisdruck habe der Wirtschaft im Euroraum bisher nicht geschadet. Im Dezember kletterte der Einkaufsmanagerindex für die Privatwirtschaft dank der boomenden Industrie auf den höchsten Stand seit sieben Jahren. Die Allianz rechnet für 2018 mit einem Wachstum im Euroraum von 2,2 Prozent nach 2,4 Prozent 2017. „Neben dem günstigen weltwirtschaftlichen Umfeld spricht für eine anhaltende Konjunkturerholung im Euroraum die erhebliche Besserung am Arbeitsmarkt, die die Binnennachfrage stützt“, so Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise.

Krämer vermutet, dass der EZB-Rat seine Zinspolitik an die niedrige Inflation kettet, weil er von Vertretern hoch verschuldeter südeuropäischer Länder dominiert wird. „Vermutlich wird die EZB die Anleihenkäufe nicht im vierten Quartal 2018 stoppen, sondern sie bis Ende des ersten Quartals 2019 fortsetzen. Die erste Zinserhöhung rückt damit in noch weitere Ferne“, meint Krämer.

NordLB-Volkswirt Christian Lips sieht die Gefahr einer zu späten Kurskorrektur. Sollte eine Drosselung der Anleihenkäufe früher als angepeilt notwendig werden, „könnte dies viele Marktteilnehmer auf dem falschen Fuß erwischen“, sagt Lips. „Das Risiko von Marktverwerfungen geht nicht nur von einem zu schnellen, sondern auch von einem zu zögerlichen Exit aus.“

Gilles Moec und Ruben Segura-Cayuela von der Bank of America Merrill Lynch erwarten, dass die EZB im Frühling ihre Botschaft vorsichtig anpassen wird: Der erste Schritt könnte sein, die Verknüpfung zwischen Inflationsdynamik und Anleihenkäufen zu trennen. (eid/ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.12.2017)

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